Das War Ich Nicht
damit begonnen, nur noch Fahrstuhl zu fahren, wenn keine anderen Menschen darin waren. Ich fand es unnötig, anderen Menschen so nahe zu sein, wenn man auch die Treppe nehmen konnte, wie ich es tat, wenn ein Fahrstuhl kam und ich sah, dass er nicht leer war. Im letzten Jahr war es so weit gekommen, dass ich aus Fahrstühlen ausgestiegen war, sobald jemand anders hinzukam, zwang mich jetzt jedoch, das nicht zu tun - so konnte es nicht weitergehen.
In der letzten Adventszeit hatte ich auf der Suche nach einem Geschenk für Arthur zum letzten Mal versucht, einen Fahrstuhl zu nehmen, in der Einkaufspassage Hanseviertel. Als die verglaste Kabine abbremste, hatte ich mich schon darüber gefreut, dass sie leer war, doch bevor die Türen sich öffneten, sah ich in deren Spiegelbild die Silhouette eines Menschen, der hinter mir stehen musste. Ich hätte fast geschrien vor Wut. Nirgendwo wurde man in Ruhe gelassen. Ich kam aus einer Wohnung, die ich mir, wie auch das Bett, mit einem Menschen teilte wie mit einem Fremden ein Zugabteil: stets auf größtmöglichen Abstand bedacht. Und jetzt konnte ich noch nicht einmal im Fahrstuhl einen Moment allein sein!
Wutentbrannt hatte ich mich damals umgedreht, doch niemand stand da. Das Spiegelbild, das mich so aufgeregt hatte, war mein eigenes gewesen. Schon damals hätte ich daran zweifeln müssen, ob es den Ort überhaupt gab, nach dem ich Heimweh hatte, weil jeder Ort, an den ich mich flüchtete, den Nachteil hatte, dass ich mich dorthin mitnehmen musste.
HENRY
Die Lichter der Stadt. Es war mir ein Rätsel, wie überhaupt irgendjemand schlafen konnte, in dieser Nacht, jemals wieder, in dieser wahnsinnigen Welt. Dann sah ich mich in meinem Zimmer um, auf die Papiere, die ich eilig im Raum verteilt hatte, damit es nach Arbeit aussah, als ich noch dachte, die Frau, die sich als meine Verlegerin angekündigt hatte, wäre wirklich Gracie Welsh. Stattdessen war es die verrückte Übersetzerin gewesen, wenigstens war ich sie schnell wieder losgeworden.
Irgendwann, ich war auf das Sofa gesunken und mehrere Male kurz eingenickt, wurde es hell. Das Zimmermädchen hatte mir ein frisches Hemd gebracht, und ich legte mein Business-Outfit wieder an.
Ich stand auf und ging so nah an die Fensterscheibe, dass sich die grünlich-blaue Stelle unter meinem Auge darin spiegelte, und legte mein Gesicht gegen das kühle Glas. Der Schmerz ließ nach - meine Gedanken hingegen gaben keine Ruhe. Jasper Lüdemann war in Gefahr. Ich musste ihn warnen.
Sobald ich die Straße betreten hatte, verschmolz ich mit der Masse von Anzugträgern, für die gerade ein ganz normaler Arbeitstag begonnen hatte. Ich überholte, wo ich konnte, wischte mir immer wieder den Schnee aus dem Gesicht, lief immer schneller, erreichte die LaSalle Street und wusste dann nicht mehr weiter.
"Sir? Sir«, sagte die Stimme. Ich schlug die Augen auf und sah zwei braune Augen und eine Schirmmütze mit der Aufschrift Caribou. »Sie können hier nicht schlafen.« Ich schreckte hoch, fiel fast von dem Sessel auf der Galerie des Caribou, auf dessen Sitzfläche ich nach unten gerutscht war.
»Oh Gott, ich muss ... Wie spät ist es?«
»Zwölf Uhr«, sagte die Frau und wiederholte. »Sie können hier nicht schlafen.«
Ich sah aus dem Fenster. Es war inzwischen richtig hell, und Schnee fiel auch nicht mehr. Vor mir stand ein kleiner Americano, von dem ich nicht einmal zwei Schlucke getrunken hatte. Ich folgte der Mitarbeiterin nach unten, kaufte einen neuen Kaffee und für 20 Dollar irgendwelche Fruchtschnitten und Süßigkeiten, um meine Anwesenheit zu rechtfertigen. Hoffentlich hatte ich ihn nicht verpasst. Da sah ich, wie Jasper von einem der Tische aufstand und, ohne mich zu sehen, das Cafe verließ. Ich ließ alles stehen und rannte hinterher.
Er überquerte die LaSalle Street, ich musste zwei Busse vorbeifahren lassen, bis ich ihm folgen konnte. Als er den Eingang von Rutherford & Gold erreicht hatte, war ich direkt hinter ihm, verfehlte nur knapp sein Abteil der Drehtür. Wir gingen durch die Tür, nur einen halben Meter voneinander entfernt, nur durch eine Scheibe getrennt, wie zwei Fische in benachbarten Aquarien.
Auf dem Weg durch die Eingangshalle holte ich ihn ein. Er hielt eine Karte an einen Sensor, und eine Eingangsschleuse öffnete sich, ähnlich wie in der U-Bahn, nur dass die Bügel, die sich hier öffneten, mit Leder überzogen waren. Ich schaffte es, hinter ihm durch die Eingangsschleuse zu springen, bevor sie sich
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