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Das War Ich Nicht

Das War Ich Nicht

Titel: Das War Ich Nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristof Magnusson
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plötzlich zornig klang. Er sollte da nicht rumstehen, im Bademantel, mit Sonnenbrille, und das perfekte Star-in-der-Krise-Bild für die Gala abgeben. Er sollte an seinem Roman arbeiten, an unserem Roman, auf den die Welt wartete.
    »Ich habe zu tun,«
    »Das will ich hoffen.« »Wie bitte?«
    »Alle warten auf Ihren Roman.« Er schwieg.
    »Ihren Roman über den Terrorismus, die Zukunft der Welt, den Jahrhundertroman «
    »Ach, seien Sie still!«, rief er so laut, dass ich zusammenzuckte. Auch er schien erschrocken von dem Klang seiner Stimme, die in dem Hotelflur widerhallte und so gar nicht zu den sphärischen Panflöten-Klängen aus den Ganglautsprechern passte. Er wich einen Schritt zurück und musste nun den Oberkörper vorbeugen, um die Tür offen zu halten.
    »Der Roman ist bald fertig«, sagte er leise.
    »Wann?«
    »Umso schneller, je eher Sie mich in Ruhe arbeiten lassen.« »Arbeiten Sie jetzt? Gerade?« Durch die halb geöffnete Tür versuchte ich, einen Blick in das Zimmer zu werfen, um zu sehen, ob irgendwo ein Computer oder eine Schreibmaschine stand.
    »Ja«, sagte er, doch die Antwort kam nicht schnell genug.
    »Ich sehe Sie den ganzen Tag nur durch die Gegend laufen«, sagte ich.
    »Wollen Sie mir vorschreiben, wie ich zu arbeite n habe?«
    »Warum sind Sie denn so nervös, nur weil ich vor Ihnen stehe?«, sagte ich.
    »Ja, warum stehen Sie denn eigentlich vor mir? Haben Sie nichts Besseres zu tun?«
    »Ich will Ihnen helfen, das habe ich zu tun.« »Suchen Sie sich lieber eine Arbeit.«
    »Ich habe Arbeit. Ich kann sie nur nicht machen, weil Sie Ihre nicht erledigen.«
    »Und dann sitzen Sie da auf Ihrem tollen Bauernhof auf dem Land und langweilen sich?«
    Ich schwieg.
    »Und gehen Ihren Freunden auf die Nerven? Oder haben Sie die in der Großstadt zurückgelassen?«
    Ich starrte ihn an, sah aber nur mein eigenes Spiegelbild in seiner Sonnenbrille.
    »Ach, und Ihren Freund haben Sie auch in der Stadt gelassen? Sie sind aufs Land gezogen, weil Ihre Freunde in der Stadt nicht sehen sollen, wie Sie langsam verrückt werden. Weil jeder bis dreißig irgendwie durchkommt und sich dann entscheidet, ob man für ein normales Leben taugt oder nicht.«
    Das war nicht Henry, der da sprach. Es war Graham Santos.
    Darüber hatte er in Unterm Ahorn im Palmenhaus nachgedacht:
    Seine Eltern waren Anfang dreißig, als er geboren wurde. Nun war er selbst Anfang dreißig, lebte seit zehn Jahren mit einer Frau zusammen, die ihn heiraten wollte. Im Freundeskreis hatten alle bereits Kinder bekommen. Doch Graham Santos sitzt da unter der Manila-Palme und stellt sich das Leben seiner Eltern als Einzelpersonen vor. Welchen Verlauf es genommen hätte, wenn sie nie ein Paar geworden wären - dann kommt er zu dem Schluss, dass sowohl seine Mutter als auch sein Vater glücklicher gewesen wären, wenn sie nie eine Familie gegründet hätten. Graham Santos steht auf, verlässt seine Freundin, sein normales Leben, heimlich und mitten in der Nacht, und kauft sich ein Haus, zwar nicht an der Nordsee, sondern in den Hügeln von Vermont, aber das war auch der einzige Unterschied. Ansonsten hatte er alles so gemacht wie ich. Oder vielmehr: Ich hatte es so gemacht wie er.
    Ich hob die Hand, wollte ihm die Sonnenbrille von der Nase reißen, ließ sie aber wieder sinken, als er weitersprach.
    »Und jetzt wollen Sie, dass ich ein neues Buch schreibe, damit Sie neue Ideen bekommen, was Sie mit Ihrem Leben machen sollen. Aber was ist, wenn ich das nicht tue? Schreiben Sie mir dann wieder einen bösen Brief?«
    »Böser Brief? Das waren nur ein paar Kleinigkeiten«, sagte ich. So war es doch gewesen; es hatte sich um ein paar harmlose Zweifelsfälle gehandelt, schiefe Metaphern, logische Fehler. Mal riss jemand eine Autotür auf, obwohl er sich im Auto befand, sie also eigentlich hätte aufstoßen müssen. Mal saß eine Person bei einem gesetzten Abendessen erst dem Gastgeber gegenüber und stritt sich dann plötzlich am anderen Ende der Tafel mit einer Immobilienmaklerin.
    »Fünf Seiten Kleinigkeiten? Sie haben ja sogar die Gerichte nachgekocht, die in Windeseile vorkommen.« »Sie etwa nicht?«
    »Nein!«
    »Die Hauptperson ist Koch.« »Na und?«
    »Das haben Sie doch nicht einfach so geschrieben, ohne sicherzugehen, dass die Rezepte funktionieren.«
    »Es ist ja kein Kochbuch.«
    »Ist Ihnen klar, wie Sie mich mit dem Muschelrezept blamiert haben? Ich hatte Gäste.« Es war ein desaströser Abend gewesen, mit Gösta und Regine, Sabine

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