Das War Ich Nicht
und Lars. Henry LaMarck hatte sich bei der Salzdosierung vertan, drei Esslöffel stand da, doch drei Teelöffel hätten mehr als gereicht.
»Ich bin jetzt wohl für jedes Unglück in ihrem Leben verantwortlich. «
»Es wäre nur nett gewesen, wenn Sie geantwortet hätten. Dann hätte ich die Stellen n icht selbst verbessern müssen.«
»Sie haben mich verbessert?«
»Ich kann ja wohl kaum Ihre Fehler mit übersetzen.« »Warum nicht?«
»Weil sie in dem Moment zu meinen Fehlern geworden wären.«
»Sie sollen nicht das übersetzen, von dem Sie denken, dass ich es sagen will, sondern das, was ich geschrieben habe«, sagte er und wirkte plötzlich größer. Ich sah auf den Boden - er hatte sich auf die Zehenspitzen gestellt.
»Warum haben Sie mir das denn nicht geschrieben?«
»Weil ich überhaupt nichts mehr schreibe, seit ich Ihren Brief gelesen habe.«
Ich schwieg. Das konnte er nicht ernst meinen.
»Ich schreibe nicht mehr!«
»Seit meinem Brief?«
»Ja.«
»Dann müsste Ihr Roman ja fast fertig sein. Ich habe Ihnen erst vor zwei Monaten geschrieben, da waren Sie doch sicher schon sehr weit.«
Er hatte bereits den Mund geöffnet, um zu antworten, dann schien er darüber nachzudenken, was ich gesagt hatte, schloss ihn wieder, sah mich an und sagte schließlich deutlich leiser: »Vorher habe ich recherchiert.«
»Also auch nicht geschrieben.«
»Okay. Ich habe schon vor Ihrem Brief nicht geschrieben. Von meinem neuen Roman gibt es keine Zeile, nicht mal ein Wort. Herzlichen Glückwunsch, Sie haben wieder einmal recht. Genau wie mit Ihren überkorrekten, lächerlichen Anmerkungen zu meinem Werk.«
»So war das mit dem Brief doch gar nicht gemeint. Ich wollte nur Ihre Texte verstehen.«
»Ihr Brief ist der beste Beweis dafür, dass Sie nie auch nur irgendwas verstehen werden. Sie geben sich nur mit Kleinigkeiten ab, die normale Menschen überhaupt nicht interessieren. Da wissen Sie ganz genau, wie man alles richtig macht. Immer schön klein-klein. Das ist doch zwanghaft.«
Nun war ich es, die einen Schritt zurückwich. Wollte er damit wirklich sagen, dass ... Ich wollte diesen Gedanken nicht weiterdenken und hätte es auch nicht gekonnt.
»Ich wollte Ihnen doch nur helfen.«
»Sehen Sie, wie Sie mir helfen?«
»Sie lassen mich ja auch nicht«, sagte ich.
»Ich will me ine erste Übersetzerin zurück.«
»Mit der hatten Sie keinen Erfolg.«
»Aber sie hat mich in Ruhe gelassen.«
»Außerdem ist sie tot«, sagte ich.
Henry LaMarck senkte den Kopf und sah mir über den Rand seiner Sonnenbrille direkt in die Augen. »Wenigstens lebt sie jetzt nicht so wie Graham Santos. Verrückt und einsam auf dem Land.«
»Sie wissen ja noch nicht mal, wie sie heißt.« »Doch.«
»Nein.«
»Carla Tomsdorf. «
Er wollte die Tür zuknallen, doch es war eine hochwertige Hoteltür mit einer Hydraulik, die nur langsam ins Schloss gleiten konnte. So sah ich ihn noch zwei Sekunden an, während er gegen die Tür drückte, bis sie sich auf geradezu absurde Weise geräuschlos schloss. Ich hörte, wie von innen ein Sicherheitsriegel vorgelegt wurde. Dann war ich allein. Ich hob das Bitte-nicht -stören-Schild auf und hängte es wieder an die Tür, mit der grünen Seite nach außen: Bitte Zimmer aufräumen.
Die Musik war ausgegangen. Es war so still auf dem Gang, als hätte das Gebäude uns zugehört. Die Literaturverrückte zwang sich, den Fahrstuhl zu rufen, an statt die Treppen zu nehmen, er kam, und sie drückte auf L für Lobby. Vor zehn Minuten war ihr Flugzeug ohne sie losgeflogen.
Da hatte ich sie nun bekommen, die berühmte zweite Meinung. Nach Regine hatte es nun auch Henry LaMarck ausgesprochen: Ich wurde nicht langsam verrückt - ich war es bereits geworden. Aufs Land zu ziehen, war kein letzter Versuch, das abzuwenden, sondern eine Folge dessen. Der beste Beweis dafür war meine verrückte Idee, hierherzufahren und zu denken, ich könnte mal so eben einen Jahrhundertroman abholen wie eine bestellte Torte, anstatt mich in Deutschland um andere Übersetzungsaufträge zu bemühen.
Hätte ich bloß nie diesen Brief geschrieben. Die Italiener sagen: traduttore - traditore, der Übersetzer ist ein Verräter, translator - traitor. Hatte ich Henry verraten? Alles, was ich anfasste, schien sich in Einsamkeit zu verwandeln.
Ich verzog das Gesicht, als der Fahrstuhl abbremste und ein Mann in Sportkleidung zustieg, der offensichtlich auf den Weg in das Spa des Estana Hotel & Spa war. Schon vor Jahren hatte ich
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