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Das War Ich Nicht

Das War Ich Nicht

Titel: Das War Ich Nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristof Magnusson
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Häuser kannte ich. Ebenso die Namen der Familien, die hier wohnten. Feltmeier, Passlak, Schulze-Wiersch. Verändert hatte sich überhaupt nichts. Das Straßenschild kam in Sicht, ich blinkte links, bog ab, ohne zu bremsen. Am Blumenhaus.
    Ein Ruck ging durch das Auto, der mich nach vorne gegen den Gurt warf, so abrupt hatte ich den Fuß vom Gas gerissen. Es war kaum ein Durchkommen. Autos, Antennen, Scheinwerfer. Menschen mit Kameras, Menschen mit Mikrofonen. Schon vor dem Haus der Klostermanns parkten Minibusse von WDR, Sat.I, ZDF, ntv. Sogar von CNN. Kamerateams vor unserem roten Schwedenhaus.
    »Sie haben Ihr Ziel erreicht«, sagte die Stimme aus dem Navi. Ich fuhr weiter. Klappte die Sonnenblende runter, in der Hoffnung, mich dadurch vor Blicken schützen zu können. Alle sahen auf unser rotes Haus. Das Haus meiner Mutter. »Bei der nächsten Gelegenheit bitte wenden.« Ich schaltete das Navi aus, mein Handy an, bog ab, trat aufs Gas, war Sekunden später wieder auf der Autobahn und wählte die Nummer meiner Mutter. Ausgeschaltet. Dann sah ich, dass ich zwei Nachrichten auf meiner Mailbox hatte.
    »Jasper, was hast du denn da gemacht? Ich sitze hier im Büro, und die Klostermanns haben gerade angerufen, ich soll den Fernseher einschalten. Und da bist du, ich sehe dich, und die reden alle. Wenigstens weiß ich jetzt, worum es geht. Ganz schön groß, euer kleines Problem«, sagte sie, und dann mischte sich etwas Amüsiertheit in den sorgenvollen Klang ihrer Stimme. »Komm auf gar keinen Fall nach Hause. Mach auf jeden Fall einen Bogen um Sprockhövel.«
    Ende der Nachricht. Zwei Minuten später hatte sie erneut angerufen.
    »Und schmeiß dein Telefon weg, die überwachen meine Nummer, glaube ich. Kannst du dich irgendwo verstecken? Du erreichst mich dort, wo wir Ostern 1990 im Urlaub waren. Melde dich, wenn du eine gute Anwältin brauchst«, sagte sie, dann schien sie diesen Witz zu bereuen oder wollte es nicht so enden lassen und fügte hinzu: »Und wenn nicht, melde dich auch.«
    Ich fuhr zum Bochumer Hauptbahnhof und gab dort den Mietwagen ab - bis dahin konnte man meinen Weg eh nachvollziehen. Dann stellte ich mein Handy auf lautlos, versteckte es unter einem Sitz im I CE nach Wien, sah, dass zwei Minuten später ein Zug nach Hamburg fuhr, rannte wie ein Wahnsinniger und schaffte es gerade noch durch die Tür, an der der Schaffner stand.
    Ich ließ mich auf den nächsten freien Platz fallen. »Was hast du denn da gemacht?«, hatte meine Mutter gesagt. Ja, was hatte ich denn gemacht? Es musste etwas Großes sein. Etwas richtig Großes, und in der Bahn hatte ich keine Chance rauszufinden, was. Im Speisewagen kaufte ich mir eine Zeitung, doch da stand noch nichts drin. »Melde dich, wenn du eine gute Anwältin brauchst.« Was hatte sie damit gemeint? Eine Anwältin, um mir die Medien vom Leib zu halten? Rutherford & Gold musste meine Positionen sofort bemerkt haben und hatte dann zu schnell alles verkauft. Dabei einen Verlust gemacht, der so groß war, dass sie an die Öffentlichkeit gegangen waren. Nun brauchten sie einen Sündenbock. Mich.
    Ich hielt die Zeitung höher, verbarg mein ganzes Gesicht.
    Der Schaffner kam, ich wollte eine Fahrkarte nach Tetenstedt kaufen, doch dort gab es keinen Bahnhof. Irgendwie bekam er raus, dass ich bis Katharinenheerd fahren musste. Bald darauf schlief ich ein, schreckte kurz vor Münster hoch, beschloss dann jedoch, dass ein schlafender Mensch in der Bahn niemandem auffiel, und kam in Hamburg sogar relativ ausgeschlafen an, wenn auch nicht weniger ängstlich. Schon dieser Intercity war viel zu langsam gefahren. Hatte zu oft gehalten. Die Vorstellung, die verbleibenden zweieinhalb Stunden bis zu Meike fern aller Nachrichten in einem Bummelzug sitzen zu müssen, war nicht auszuhalten. Ich musste rausfinden, was passiert war. Musste es riskieren.
    Ich lief durch den Hamburger Hauptbahnhof, musste mich zusammenreißen, um nicht bei jedem Menschen, der mich ansah, vor Schreck zusammenzuzucken. Sah eine Bahnhofskneipe, durch deren Fenster es blau-grünlich schimmerte, rannte sofort hin, doch es lief nur Fußball. Zwei weitere Fernseher fand ich noch, einen in einem Restaurant namens Schweinske, einen hinter einer Schinkenwurstbude in der Wandelhalle - Fußball auch dort. Ich musste weiter. Hatte schon genug Glück gehabt, dass mich niemand erkannt hatte. Ich nahm die S-Bahn nach Hamburg-Altona, setzte mich in den letzten Waggon der Nord-Ostsee-Bahn und versteckte mich sofort

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