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Das War Ich Nicht

Das War Ich Nicht

Titel: Das War Ich Nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristof Magnusson
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Pfeilen, die Richtung A 23 zeigten, und fuhr Richtung Zentrum. Während ich anfuhr, abbremste, anfuhr, zog die Stadt in wechselnder Geschwindigkeit an mir vorbei, die endlosen, verschneeregneten Straßenzüge von Hamburg, wie Tunnel aus Backstein, die in eine Mitte führten, in der ich einmal gelebt hatte.
    Ich fuhr am Hauptbahnhof vorbei, links die Binnenalster, rechts die Außenalster, an den Wallanlagen entlang, dem großen Bunker mit der Shell-Tankstelle vorbei, fand bald darauf einen Parkplatz in der Juliusstraße und stand wenig später vor meiner Wohnung.
    Bei uns brannte kein Licht. Arthur war um diese Zeit immer in seinem Atelier. Ich öffnete die Wohnungstür, es war abgeschlossen, ein Mal, obwohl Arthur zwei Mal abschloss, schloss vorsichtig mein altes Leben auf und betrat unsere helle, warme Wohnung, wie es für mich jahrelang ganz normal gewesen war.
    Noch bevor ich Licht gemacht hatte, merkte ich, dass alles anders war. Es roch nicht mehr nach Rauch, nicht mehr nach Farbe und kaum noch nach Kaffee. Im Flur hingen Mäntel, die ich noch nie zuvor gesehen hatte. Frauenmäntel. Auf dem Boden standen Stiefel, ein Paar in Rot, ein Paar in Braun, und dann die Möbel, dieser grüne Schuhschrank aus Blech im Flur und diese ... Plakate? Es hingen Plakate im Flur. Gerahmte Plakate. Von Jazzmusikern.
    Wer war diese Frau? Wenn sie jetzt schon hier eingezogen war, musste Arthur sie schon vor längerer Zeit kennengelernt haben, vielleicht wieder bei Karstadt. Er musste froh sein, dass ich gegangen war und den Weg frei gemacht hatte für die Besitzerin dieser Stiefel, die Jazzliebhaberin und Plakate-Einrahmerin - ein Gedanke, der mich eigentlich hätte erleichtern sollen.
    Ich betrat Arthurs Zimmer. Spielzeug. Duplo-Steine lagen dort herum, eine Holzeisenbahn, irgendein Elektrospielzeug mit Bildschirm.
    Dann sah ich, dass Arthurs Schreibtisch, seine Regale, sein Stuhl, sein geliebtes altes Sofa verschwunden waren. Dies war das Kinderzimmer von fremden Leuten. Die Frau mit den Mänteln und Jazzpostern hatte mit Arthur nichts zu tun. Auch er musste ausgezogen sein, kurz nach mir, und hatte, wie in dieser Gegend üblich, sofort einen Nachmieter gefunden. Er hatte sich bestimmt aussuchen können, an wen er die Wohnung weitergeben wollte, und sich für diese Frau entschieden, die ein Kind hatte und wahrscheinlich sogar einen dazugehörigen Mann, denn für eine alleinerziehende Mutter war die Wohnung eigentlich zu groß.
    In der Küche fand ich frisches Obst, Süßigkeiten, Dosengemüse und Vollkornbrot vor. Auf der Fensterbank standen Weinflaschen, ziemlich teuer aussehender Merlot, auf dem Tisch ganz normales Salz, in einem Eierbecher, in dem eine Fingerkuppe eine Delle hinterlassen hatte. Sogar Zigaretten lagen da herum, obwohl die Wohnung nicht nach Rauch roch, weder besonders ordentlich, noch unordentlich schien, weder betont nachlässig, noch zu überlegt eingerichtet war. Es wirkte, ich musste es zugeben, sympathisch. Diese Leute machten vieles richtig, das ich zwar anders, aber genauso falsch machte wie Regine und Gösta, Sabine und Lars.
    Was tat ich hier eigentlich? Leute mit Kindern blieben nie lange weg. Sie konnten jeden Moment wiederkommen. Am Kühlschrank ein gelber Klebezettel, auf den jemand ein Herz gemalt und darunter mit Grün geschrieben hatte: Wir leiden.
    Auf dem Küchentisch lagen Briefe an eine Maren Seidel und einen Andreas Jensen, daneben ein Brief von der Künstlersozialkasse für Arthur, auf den mit dem gleichen grünen Stift eine neue Adresse geschrieben worden war, nur zwei Straßen weiter. Darunter waren zwei Briefe an mich, auf denen jemand meinen Namen durchgestrichen und »unbekannt« drüber geschrieben hatte.
    Ich steckte die Zigaretten ein und nahm einen der Äpfel, auf denen ein Bio-Aufkleber klebte. Selbst das konnte mich nicht gegen diese Menschen einnehmen. Was konnten diese kleinen rotwangigen Dinger dafür, dass ich so war, wie ich war. Ich biss in den Apfel und fühlte mich, als ob die Zeit stehen blieb, so gut schmeckte er. Wie ... es tat mir weh, das zu denken, aber ich konnte nicht anders, wie früher. So konnte das Leben sein, wenn man nicht so war wie ich.
    Ich schloss die Wohnung zwei Mal zu, dann ein Mal wieder auf. Als ich die Treppe hinunterstieg, dachte ich daran, was für eine kriminelle Karriere ich in den letzten Tagen begonnen hatte. Ich hatte die Ursulinernonnen von Chicago um einige Nächte Übernachtungskosten geprellt und nun Hausfriedensbruch begangen. Wenn man

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