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Das War Ich Nicht

Das War Ich Nicht

Titel: Das War Ich Nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristof Magnusson
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ausgebreiteten Armen entgegen, während mich jemand abtastete.
    Sitzplatz 23 D. Economy-Class. Auf dem Fernseher am Gate lief ein Baseballspiel. Ich bekam weder mit, wer spielte, noch, wie es stand, sah nur den Männern zu, in den bunten Trikots, die rannten, warfen, fingen, rannten. Rutherford & Gold war vorbei. Und jetzt? Aussteiger werden? Tomaten züchten in der Toskana? Nein. Ich würde klein anfangen. Ganz normal. Mit irgendeiner Wohnung irgendwo in NRW. Irgendeinem Job. Würde wieder anfangen, Schach zu spielen. Meine alten Freunde wiedersehen. Neue finden. Meine Schultern sanken. Ein Muskel in meinem Rücken begann zu zucken. Platz zwischen den Schulterblättern. 23 D.
    Eine Verspätung von einer halben Stunde wurde angesagt.
    Ich lief im Flughafen umher, fand einen Geldautomaten und zog tausend Dollar, weil mir nichts anderes einfiel, das ich tun konnte. Tauschte sie in Euro um. Monitore mit Namen von Orten, an denen ich noch nie war, alle paar Meter die Möglichkeit, ein Sandwich zu kaufen oder einen Kaffee. Dazwischen der gleichförmige Strom der Reisenden, die fast alle Rollkoffer hinter sich herzogen. Da sah ich Meike. Natürlich musste es so kommen. Sie kam direkt auf mich zu.
    Noch hatte sie mich nicht gesehen. Ich überlegte, mich in einem Sandwichladen zu verstecken oder zumindest zur Wand zu drehen, doch ich tat es nicht. Sah sie an. Doch sie bemerkte mich nicht, ging einfach weiter, ohne Rollkoffer, blickte mal auf den Boden, mal geradeaus, dann war auch das vorbei.
    Als wir abhoben, war es längst dunkel geworden. Von Chicago sah ich nur ein paar Lichter, dann waren wir in den Wolken; später Sterne, der Mond.
    Als das Flugzeug in Frankfurt landete, wachte ich wieder auf. Der Grenzbeamte sah in meinen Pass. Hielt ihn ins Lesegerät. Eine Sekunde, zwei Sekunden, drei, vier, fünf. Sofort zog ich meine Schultern wieder hoch. War doch etwas passiert? Dann nickte er, und ich bekam meinen Pass zurück.
    Ich mietete mir einen Wagen und fuhr Richtung Bochum.
    Die Mietwagen hatten jetzt standardmäßig Navigationssysteme. Ich war wirklich lange nicht mehr in Deutschland gewesen. Fünf Jahre. Meine Mutter hatte mich ein paar Mal in Chicago besucht, meistens an Weihnachten; das letzte Mal hatte ich sie vor über einem Jahr gesehen. Nun war ich auf dem Weg zu ihr, nach Sprockhövel, Am Blumenhaus 73. »Nach 800 Metern rechts auf die Autobahn fahren«, sagte das Gerät.
    Manche sagen, man lernt die Heimat erst zu schätzen, wenn man weggezogen ist. Ich schien sie erst jetzt schätzen zu lernen, wo ich nach all den Jahren wieder in Deutschland war. Sprockhövel. Eigentlich eine Kleinstadt für sich, doch trotzdem hatte ich immer gesagt, ich wäre aus Bochum, schon seit ich vierzehn war. Sprockhövel, so genau wollte das doch keiner wissen.
    Schon auf der A 3 bei Taunusstein kam mir das Bild unseres Hauses in den Kopf. Es war rot. Die Giebel, Fensterrahmen und Regenrinnen weiß gestrichen. Als Kind hatte es mich immer an Astrid-Lindgren-Verfilmungen erinnert, wahrscheinlich weil es zudem noch aus Holz war. Und die Leute skandinavischer Stil dazu sagten. Als ich älter wurde, ahnte ich, dass meine Mutter lieber in ein Haus umgezogen wäre, das nicht ganz so bilderbuchmäßig aussah, aber so hatten mein Vater und sie es sich nun mal ausgesucht. Es wäre ihr wie ein Verrat an seinem Andenken vorgekommen, es zu verkaufen, wie ich es ihr vor einiger Zeit raten wollte. Nun war ich froh, dass sie es noch hatte. Ein wenig Bilderbuchidylle konnte ich gut gebrauchen.
    Dann überlegte ich, was ich meiner Mutter erzählen würde.
    Viel anderes als die Wahrheit blieb mir nicht. Die genaue Höhe der Verluste würde ich ihr verschweigen. Die Sache mit meinem Magen auch. Wurde jetzt eh besser. Aber im Prinzip die Wahrheit. Sie würde mich rein lassen, einen Kaffee machen, den sie durch einen Porzellanfilter von Hand aufgoss. Sie hasste Kaffeemaschinen. Vielleicht hatte sie sich inzwischen eine Espressomaschine gekauft - was tat das schon zur Sache? Doch, das tat etwas zur Sache. Meine Mutter war eine Person, von der ich solche unwichtigen Kleinigkeiten wusste. Nicht nur das Allerwichtigste. 119 Kilometer noch. Ich gab Gas.
    Eine knappe Stunde später fuhr ich in Wuppertal-Oberbarmen von der Autobahn. Das Motorengeräusch war auf einmal ganz leise und verschwand fast völlig, als ich an der ersten Ampel auf der B 51 anhielt. Im Hobeuken fuhr ich knapp über 40 km/h, wie immer in dieser Dreißiger-Zone. Jedes einzelne der

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