Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das War Ich Nicht

Das War Ich Nicht

Titel: Das War Ich Nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristof Magnusson
Vom Netzwerk:
sie sich neben mich gesetzt hatte. Ich hielt es kaum noch aus, nicht zu wissen, was passiert war. Brauchte unbedingt Nachrichten.
    »Schon okay«, sagte ich.
    »Aber die Lage ist schön, und die Lage ist ja das Wichtigste, alles andere kann man ändern.«
    Ich nahm einen Schluck Wein. Er war ausgezeichnet. Dafür hatte sie offensichtlich Geld. Für ein Designersofa und teuren Wein.
    »Man muss halt hier und da noch was machen«, sagte sie.
    »Stroh aufs Dach tun, zum Beispiel«, sagte ich und bereute es sof ort, als ich in ihre Augen sah.
    »Ich habe ein wichtiges Meeting. In Hamb urg. Morgen. Ganz kurzfristig.« Ich hielt inne. Das hatte nun wirklich keinen Sinn mehr. »Du weißt ja eh, warum ich hier bin, oder?«
    Daraufhin lächelte sie, und ich fühlte wieder diese Ruhe, die sich von ihr auf mich übertrug. Wie bei unserem ersten Treffen.
    HENRY
    Rente. Selbst Shakespeare hat irgendwann einfach aufgehört, sagte ich mir, als ich am nächsten Morgen aufstand, das Business-Outfit und den dunklen Mantel im Schrank hängen ließ und meinen senfgelben Helmut-Lang-Anzug wieder anlegte, den ich über Nacht vom Hotel hatte reinigen lassen. Dieser Schnitt, diese Farbe und dazu die grauen Mokassins - alles, was ich trug, war zu jung für mich. Genau deswegen zog ich mich so an. Ein letztes Mal, um nach London zu fliegen. Dort würde ich diesen Anzug in Elton Johns Laden zum Kauf anbieten. Wer weiß, vielleicht ließ ich mir auch meine anderen Anzüge aus Chicago kommen, eröffnete einen eigenen Laden, La Marck's Closet, und verkaufte dort mein früheres Leben - Stück für Stück, für einen guten Zweck.
    Ich schaltete das Deckenlicht an, die Lampe auf dem Schreibtisch, die Lichter an der Wand, auf den Nachttischen, im Bad, riss die Vorhänge auf; mehr Licht, es war zu dunkel in dieser Stadt. Warum konnte man diese Vorhänge nicht weiter öffnen?, dachte ich noch, da hatte ich einen von ihnen schon heruntergerissen. Es war mir unendlich peinlich, kaum hörte ich auf mit meinem Leben als berühmter Schriftsteller, da verwüstete ich das erste Hotelzimmer, doch wer konnte das schon aushalten, diese permanente Halbdunkelheit? Ich brauchte Licht, Licht, Licht!
    Erst einmal machte ich mich aber auf den Weg zur Bank, direkt in die nächste Filiale von Rutherford & Gold, um etwas Geld für London abzuheben. Als ich auf dem Weg an einer Buchhandlung vorbei kam, sah ich zum ersten Mal seit langer Zeit wieder bewusst ins Schaufenster. In letzter Zeit hatte ich das vermieden, weil es mich daran erinnerte, dass mein Jahrhundertroman noch nicht dort stand, nun konnte ich es wieder gefahrlos tun. Ich war ja in Rente. Und bereute es sofort. Fast zwei Meter groß, silbern glänzende Brille, asymmetrisch geschnittene Frisur, so stand sie dort, blond, faltenlos und überlebensgroß:
    Gertrude Prichett als riesiger Pappaufsteller. Anscheinend hatte sie schon wieder einen ihrer unsäglichen literarischen Krimis veröffentlicht, in dem es wieder um das Internet ging, die Vogelgrippe oder das Heimatschutzministerium, große Themen, aber dennoch emotional und laienverständlich. Der neue Roman von Star-Autorin Gertrude Prichett ist da! stand auf einem Plakat, darunter lagen mindestens fünfzig Exemplare eines mindestens 800 Seiten starken Wälzers: Das kalte Feuer. Und damit nicht genug. Es gab alle möglichen anderen Produkte, die mit dem Roman vermarktet wurden: das Handy zum Roman, das Parfüm zum Roman, die Sonnenbrille zum Roman, den MP3-Spieler zum Roman.
    Die Marketingmaschine von Parker Publishing lief auf Hochtouren. Mein Verlag war vorbereitet für die Zeit nach mir. Ich war auf dem Weg aus den Buchläden in die Literaturgeschichte, nur noch ein paar Jahre von der posthumen Werkausgabe der Library of America entfernt, und konnte nur hoffen, dass die Wissenschaftler, die sich mein Werk dafür sicher sehr genau ansehen würden, nicht dieselben Fehler fanden wie diese schreckliche Meike Urbanski.
    Mit gesenktem Blick ging ich weiter, bis ich wenige Meter vor der Bankfiliale fast mit einem Mann zusammenstieß, der mitten auf der Straße herumstand. Ich unterdrückte den Impuls, ihn zu fragen, was um alles in der Welt er da mache, blickte auf, um mich höflich zu entschuldigen, da sah ich, dass er der letzte Mensch in einer Schlange war, die aus der Filiale von Rutherford & Gold bis auf die Straße reichte. Wird wohl daran liegen, dass sie gerade erst aufgemacht haben, dachte ich, stellte mich natürlich nicht in der Schlange an und setzte

Weitere Kostenlose Bücher