Das Washington-Dekret: Thriller (German Edition)
würden sie sie schon seit Jahrzehnten machen. Sie wussten, dass sie aufpassen mussten. Wenn ihnen jemand durchrutschte, war es ihre Schuld. Andererseits gab es vierzig Kilometer weiter die nächste Straßensperre, und vielleicht waren die Wachen dort nicht ganz so müde. Die schiere Menge der Kontrollen bedeutete für sie alle Sicherheit, und außerdem war ihnen daran gelegen, dass sich die Autoschlangen nicht endlos aufstauten.
Ollie und Doggie fuhren ganz gemächlich weiter Richtung Norden. Überall sahen sie die Folgen von Jansens sogenannten Reformen. Immer wieder tauchte das FEMA-Logo auf. Die Sonderangebotstafeln der Supermärkte waren leer. Um Benzin zu sparen, saßen stets mehrere Personen in den Autos, und orange gekleidete, mit Abfallsäcken und Müllgreifern ausgestattete Exhäftlinge befreiten allenthalben die Rabatten von Unrat. Wo man hinsah, behalfen sich die Menschen mit provisorischen Lösungen. Baustellen waren verwaist. UndichteDächer waren mit Plastikfolien abgedeckt. Die Menschen hausten in Wohnwagen in den Gärten ihrer Freunde oder Verwandten. Man rückte zusammen. Und überall standen Soldaten. Doggies Vorgesetzter im Weißen Haus verkündete jeden Tag, man habe alles unter Kontrolle und die erste Welle von Veränderungen sei überstanden, aber das war gelogen. Die Welle baute sich immer noch auf, und sie würde sich zu einem Tsunami entwickeln und alles und jeden mitreißen. Auch sie selbst. Auch ihren Vater. An den sie die ganze Zeit dachte.
Anfangs sagte Ollie gar nichts, sondern konzentrierte sich auf den schleichenden Vormittagsverkehr. Am Straßenrand wurden zahllose Menschen gefilzt. Ollie bewegte sich im Takt zum Rap, der aus dem vorsintflutlichen Kassettenradio dröhnte, und griff alle naselang in seine Plastiktüten und beförderte irgendetwas Essbares zutage. Als Doggie ihn bat, die Musik auszumachen, weil ihr sonst der Kopf platzen würde, legte der Kerl eine Redelust an den Tag, die Doggie ziemlich beunruhigte. Ollie Boyce war nämlich absolut schmerzfrei. Er erzählte Doggie von jeder Frau, die er gevögelt, von jedem Mann, den er verprügelt, und von jedem Ding, das er gedreht hatte, seit er aus dem Jugendgefängnis gekommen war. Sein Mundwerk stand nicht mehr still, und sein Mitteilungsbedürfnis konnte für Doggie lebensgefährlich werden.
»Sie können eine Weile bei meinem Cousin in der Bronx abhängen«, sagte er. »Stecken Sie ihm zweihundert zu, dann schmeißt er seine Alte so lange raus. Sie sind wahrscheinlich Besseres gewohnt, aber so, wie Sie jetzt aussehen, fällt das niemandem auf.« Er lachte hohl und klopfte sich auf den Schenkel.
»Danke für das Angebot, Ollie, aber ich komm schon zurecht.« Sie fummelte an ihrem neuen Handy herum. »Wie kriege ich denn jetzt die Nummern von meinem alten Telefon hier rüber?«
Beim nächsten Burger King hielt er an, zog das Smartphone aus der Tasche, nahm die SIM-Karte heraus und platzierte sie in Doggies Handy-Mumie.
»Nicht einschalten«, sagte sie noch, aber zu spät.
Er schüttelte den Kopf. »Nur zwei Sekunden, dann sind alle Nummern übertragen.«
Sie wollte es ihm aus der Hand reißen und ausschalten, als es bereits klingelte. Doggie blieb fast das Herz stehen.
»Ausmachen, nun machen Sie es schon aus, verdammt noch mal! Sofort!!«
»Ja, ja, ist ja gut! Bin ja schon fertig.« Er wartete einen kurzen Augenblick, dann schaltete er das Handy ab und legte wieder seine SIM-Karte ein. Insgesamt hatte das alles höchstens eine halbe Minute gedauert, aber Doggie war mehr als mulmig zumute. Für ihren Geschmack hatte es eine halbe Minute zu lange gedauert.
»Das machen Sie nicht noch mal, ja? Und beim nächsten Mal löschen Sie sämtliche Nummern von meiner Karte, verstanden? Und wie gesagt, aktivieren Sie die Karte frühestens in einem Monat wieder! Sonst kommen Sie in gewaltige Schwierigkeiten. Haben Sie mich verstanden, Ollie?«
Er versuchte, ein erschrockenes Gesicht zu machen, was mit dem Mund voller Chips nicht so einfach war.
Sie seufzte. Sie waren jetzt circa hundert Kilometer südlich von New York, und da würde sich ihre elektronische Spur verlieren. Das musste reichen.
Sie suchte Rosalie Lees Nummer in ihrer Kontaktliste und rief sie an.
Die Stimme, die antwortete, klang gepresst und passte so gar nicht zu der vitalen Rosalie, an die Doggie sich erinnerte. »Jesus, mein Erlöser, bist du das, Doggie?« Dann betete sie leise vor sich hin: »O Herr Jesus, danke, dass du meine Gebete erhört hast! Danke,
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