Das Washington-Dekret: Thriller (German Edition)
lieben langen Tag ihre Parolen zu, sie machten ihn fast wahnsinnig. »Nun gebt denen doch endlich irgendwelche Tabletten, damit sie sich beruhigen«, rief er immer wieder, aber keiner der Wärter hatte bisher darauf reagiert. Dabei standen denen garantiert radikale Methoden zur Verfügung, um die Schreihälse zum Schweigen zu bringen.
Daryl Reid hatte stundenlang von seiner letzten Mahlzeit gefaselt und wie fantastisch das werden würde, während Reamur Duke abwechselnd weinte und um seine ewigen Zahlenrätsel kreiste.
Alles war wie immer. Nur dass die Zeit immer schneller verrann.Bud hatte sich schon seit Langem nicht mehr im Spiegel gesehen, aber an seinen Händen konnte er es erkennen und an seiner Seele spüren, dass er in den gut vier Monaten im Gefängnis um mindestens zwanzig Jahre gealtert war. Lasst mich noch ein paar Monate länger einsitzen, dann braucht ihr euch keine Mühe mehr mit der Hinrichtung zu machen, dachte er. Manchmal ertappte er sich dabei, wie er stundenlang in Gedanken an grüne Wiesen versunken durch die Gitterstäbe starrte. Danach war er immer todmüde. Im Todestrakt kommt einem schnell die Orientierung abhanden: beim Blick auf das vergangene Leben, aber auch auf Gefühle und Empfindungen, die in die Zukunft weisen. Dinge, die früher enorm wichtig waren, verlieren ihre Bedeutung. Aber Bud wollte sich nicht aufgeben und tat deshalb alles, um Erinnerungen wachzuhalten. Wenn sie ihn dann einmal auf der Pritsche fixieren würden, wollte er alle die schönen Gedanken, die ihm überhaupt in den Sinn kommen konnten, parat haben. Bis zuletzt wollte er einen klaren Kopf behalten und dann in Frieden sterben. Das war sein Ziel, daran arbeitete er unermüdlich.
Der Nachmittag kam, die Milizionäre hatten für eine Weile ihr Gebrüll eingestellt. Das Gerassel der Schlüssel zeigte den Wachwechsel an.
»Schon gehört, Buddyboy«, flüsterte Daryl. »Sie können keinen Arzt auftreiben, der die Hinrichtung begleitet. Ist deshalb auf Mitternacht verschoben.«
Er lachte auf. »Aber glaub bloß nicht, dass du davonkommst!«, rief er dem Weißen zu, der schon seit dem frühen Morgen weinte und jammerte.
Bud trat an die Gitterstäbe und presste das Gesicht dagegen. Vor Zelle elf stand eine kleine Abordnung von Wärtern mit ernsten Mienen, in ihrer Mitte Gefängnisdirektor Falso. Er redete mit dem Mann, den sie vor Kurzem hatten holen sollen. Aber Pete war nicht dabei.
Weitere zwei Stunden vergingen, Türen öffneten und schlossensich, und der Gefängnispfarrer versuchte, den Delinquenten zu beruhigen. Der Korridor, in den Bud starrte, führte nicht nur direkt in die Hölle, das war bereits die Vorhölle.
»Sch, sch, jetzt ist es so weit, Buddyboy, jetzt ist es so weit. Ich warte an der Himmelspforte auf dich, mein Freund«, klagte Daryl und klopfte mit den Knöcheln an die Stäbe. »Hörst du es? Pete kommt.«
Bud beugte sich vor und versuchte an den Zellen entlangzusehen. Eine der Leuchtstoffröhren funktionierte nicht, sodass der Gang im Halbdunkel lag. Bud sah nichts.
»Hör auf, Daryl.«
»Hey, er kommt hierher! Yeah, hör nur, jetzt kommt er!«
Zwei der Milizionäre brummten etwas, mehr war nicht zu hören. Dann legte sich ein Schatten über den Boden und bewegte sich nicht weiter.
»Das ist er, Buddyboy«, feixte Daryl, und plötzlich war er tatsächlich da. Im gedämpften Licht wirkte Pete ruhig, aber als er vortrat und Bud sein Gesicht sah, erschrak er.
Pete wandte den Kopf zur Nachbarzelle. »Ich soll an deinem letzten Tag gut für dich sorgen, Daryl, das weißt du doch?«, sagte er kalt. »Gibt es etwas Besonderes, was ich für dich tun kann?«
Daryl lachte heiser. »Nein, Pete, ich hab schon alles bestellt. Kippen, Coke und alles, was ich fressen kann.«
»Okay, Daryl, dann hör mir jetzt gut zu. Wenn du nur das Geringste von dem hier verrätst, pisse ich dir auf den Teller, verstanden?«
Aus Daryls Zelle kam ein erschrockener Ausruf. »Natürlich, Pete. Natürlich. Alles ist okay, du kannst mit mir rechnen. Ich sag nichts. Buddy ist ein Freund, das weißt du doch.«
Langsam wandte Pete sich Bud zu. Seine Züge waren noch so jung, so voller Leben, dass es Bud wehtat. Wenn er, Bud, schon zu Staub geworden war, würde es Pete noch immer geben. Ein ganz und gar unwirklicher Gedanke.
»Hast du es?«, fragte Bud vorsichtig.
Pete klopfte auf seine Thermoskanne. »Wenn du fünf Millionen an mich überweist, bekommst du es.« Sie hatten Glück, der Gang war gerade leer.
Kalter
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