Das Washington-Dekret: Thriller (German Edition)
Tisch und trat einen Schritt zurück. Er fixierte die Augen des Jungen auf dem Foto. Je weiter er sich entfernte, desto sicherer war er sich. Der Junge, der mitansehen musste, wie sein Vater seine Mutter ermordete, und sich später als Erpresser sein Geld verdiente, hatte es weit gebracht. Jeder in diesem Land kannte ihn, jeder hatte eine Meinung zu ihm: Thomas Sunderland, Vizepräsident der Vereinigten Staaten, einer der Verantwortlichen für das gegenwärtige Schreckensszenario.
T. Perkins nahm nun einen Rahmen nach dem anderen in die Hand, und auf jedem einzelnen Foto war dieselbe Ähnlichkeit festzustellen. Es bestand kein Zweifel.
Zwei Kriminaltechniker tauchten im zerstörten Teil des Hauses auf und wollten mit ihm reden, aber T. winkte ab. Die mussten jetzt mal allein klarkommen. Er durchsuchte sämtliche Schubladen und Papierstapel, ohne genau zu wissen, was er zu finden hoffte. Überall stieß er auf Reliquien einer verschwundenen Zeit, die Leo Mulligan senior von Herzen gern zurückgehabt hätte.
Durch eine schmale Tür gelangte er vom Esszimmer in ein kleines, muffiges Kinderzimmer. An den Wänden hingen Poster von David Bowie, Alice Cooper und der blutjungen, halbnackten Ursula Andress, außerdem ein verblichener Drachen aus Seidenpapier. Auf dem Tisch stand eine Miniaturbüste von Präsident Thomas Jefferson. Die ganze Umgebung war bestimmt nichts, worauf der heutige Vizepräsident stolz war. Hier hatte Thomas Sunderland seine Kindheit verbracht, hier war er geprägt worden, inmitten von Maisfeldern und unter dem Einfluss eines hart arbeitenden, stets mit seinen inneren Dämonen kämpfenden Vaters.
Im Flur hingen vom Schusswechsel durchlöcherte Jacken anden Haken. T. durchsuchte sämtliche Taschen und kickte das Durcheinander von am Boden liegenden Schuhen und Stiefeln zur Seite. Unter dem zersplitterten Garderobenspiegel stand eine Sporttasche, die nicht ins Bild passte. Im gesamten Haus schien die Zeit stehen geblieben zu sein, aber diese Tasche war knallrot und mit einem Logo des 21. Jahrhunderts bedruckt. Vorsichtig öffnete T. sie und sah ein weißes Handtuch mit dem Schriftzug »Marion Correctional Treatment Center«.
T. nahm die Tasche, stellte sie auf den Esstisch und räumte sie aus. Entlassungspapiere, ärztliche Atteste, Rezepte für Medizin, die der alte Leo Mulligan nie eingelöst hatte, dazu diverser Kleinkram aus seiner Zeit in der Anstalt. Kleine Zettel waren darunter, die offenbar von Mulligans Mitpatienten stammten und rührend naive Zeichnungen enthielten. Drei von ihnen waren vollkommen identisch und unterzeichnet mit »Gruß von Benno«. Die Daten darauf waren über zwanzig Jahre verteilt. T. hätte wetten mögen, dass dieser Benno noch immer in der Anstalt war.
Ganz unten in der Tasche lagen zwei Zeitschriften und ein paar ausgeschnittene Zeitungsartikel. Er betrachtete den ersten. Ein Datum war nicht darauf, aber T. schätzte, dass er vom Anfang der achtziger Jahre stammte. Nervös suchte er nach seinen Zigaretten. Die ganze Zeit hatte er nach einem Anhaltspunkt gesucht, nach irgendetwas, das ihn weiterbringen würde – und jetzt hatte er es gefunden. Er steckte sich eine Zigarette in den Mund, vergaß aber vor lauter Aufregung, sie anzuzünden. Es war die Bildunterschrift, die ihn förmlich elektrisierte. Auf dem alten Foto darüber waren zwei salutierende Uniformierte zu erkennen, ein ranghoher Offizier mit Oberlippenbart, der Kamera zugewandt und breit lächelnd, und ein junger Mann, dessen Gesicht man nicht sah, dessen Haltung aber Zufriedenheit und Stolz ausdrückte. Über das Bild an sich wäre T. Perkins niemals gestolpert. Aber die Bildunterschrift sagte alles: »Der frühere Oberkommandierende der RamsteinAir Base, Brigadegeneral Wolfgang Sunderland, salutiert seinem Sohn, Captain Thomas Sunderland, bei der Verleihung der Verdienstmedaille für seinen Einsatz auf Grenada.«
T. Perkins verzog das Gesicht und zündete sich mit einem tiefen Zug die Zigarette an. Hatte es bei diesem Einsatz überhaupt etwas gegeben, das eine Medaille verdiente?
Er legte den Artikel zu Bennos Zeichnungen. Die lächerliche und zutiefst peinliche Invasion auf Grenada. 1983. Neun Jahre vor der schicksalsschweren Chinareise. T. blies den Rauch aus und nahm einen weiteren tiefen Zug. Damit war der Weg geebnet für den Sohn eines Mörders aus der Provinz zum markantesten Stabschef, den das Land seit Jahrzehnten gesehen hatte. Ein Offizier hatte Leo Mulligan junior adoptiert und den jungen
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