Das Washington-Dekret: Thriller (German Edition)
gezückt.
»Na, was verschlägt dich denn hierher, T.?«, fragte sie und strich sich aufreizend die Schürze glatt. »Hast mich wohl vermisst, was?«
»Aber sicher, meine müden Augen brauchten dringend mal wieder was Nettes zum Anschauen.« Wie hieß die Gute doch gleich? »Und deinen Kaffee hab ich vermisst, Süße. Der ist sogar besser als der von meiner Mutter.«
Sie machte eine wegwerfende Handbewegung. »Ach, so ein Quatsch, T.« Wieder strich sie sich über die Kurven unter der Schürze.
»Also einen Kaffee bitte und irgendein Sandwich, ich sterbe vor Hunger.« Und das war nicht mal gelogen. Er konnte sich nicht erinnern, wann er zuletzt feste oder flüssige Nahrung zu sich genommen hatte. »Und kennst du zufällig einen Wolfgang Sunderland? Der soll hier ganz in der Nähe wohnen.«
Sie nickte.
»Weißt du auch, ob er immer noch im selben Haus wohnt? Er ist ja inzwischen ein älterer Herr.«
Wieder nickte sie. »Zweihundert Meter Richtung Innenstadt. Was willst du bei dem alten Sturkopf?«
»Ich muss mit ihm über seinen Sohn sprechen.«
»Der Teufel soll ihn holen!«
»Du weißt also, wer er ist?«
»Thomas Sunderland, unser ehrenwerter Vizepräsident. Ha! Wenn du auch nur eine Frau zwischen vierzig und fünfundsechzig in dieser Stadt findest, die nicht mit ihm im Bett gewesen ist, dann ist sie erst hierher gezogen, nachdem Thomas von hier verschwunden war!«
»Aber das ist ja wohl schon ziemlich lange her?«
»Ja, ja, mein lieber T. Damals hatte er noch mehr Haare auf dem Kopf. Erinner mich bloß nicht! Ich hasse den Scheißkerl, er und Jansen richten unser Land zugrunde. Sieh dich doch mal um! Meinst du nicht, dass um diese Zeit normalerweise mehr los ist hier?«
T. nickte den beiden anderen Gästen zu. »Ja, da hast du wohl recht. Könnten gut noch ein paar mehr Leute hier sitzen, ohne dass ich Beklemmungen bekomme.«
Sie stemmte die Hände in die Hüften. »Ja, du hast schon immer versucht, witzig zu sein, T., aber es ist überhaupt nicht witzig, ein Restaurant zu führen, wenn die Leute kein Geld mehr haben.« Sie ging Richtung Küche. »Aber dich werden wir hübsch bis ein Uhr hierbehalten, Süßer. So lange schläft der alte Sunderland nämlich zu Mittag.«
Wolfgang Sunderlands Haus war nach dem Pflegeheim das beeindruckendste Gebäude am südlichen Ende der Main Street in Lexington. T. parkte den Wagen direkt davor und betrachtete die von vier gewaltigen Säulen flankierte Veranda. Auf den Säulen ruhte zwei Etagen höher ein Balkon.
Viel Fantasie gehörte nicht dazu, sich vorzustellen, wie Brigadegeneral Sunderland hier geboren und aufgewachsen und immer wieder hierhin zurückgekehrt war, wenn er nicht gerade in irgendeinem Krieg kämpfte oder das Kommando über eine Militärbasis in Europa hatte. Und man konnte sich auch gut vorstellen, wie seinem Sohn Thomas Sunderland hinter dieser imposanten, massiven Fassade ein blinder Glaube daran eingetrichtert wurde, dass er nicht schlechter sei als alle anderen. Hier hatte man ihm seinen Hochmut beigebracht und die Lust auf Macht geweckt – und jetzt mussten alle anderen dafür büßen.
Damals in China war T. sowohl Sunderland als auch dem Präsidenten sehr nah gewesen. Er hatte sich ein recht gutes Bild von Jansens Persönlichkeit machen können, während Sunderland ihm irgendwie ständig entglitten war. Das wäre sicher anders gewesen, wenn T. gewusst hätte, dass er Leo Mulligans Sohn war. Wenn man ihm sechs Verdächtige zur Identifizierung vorführen würde und nur ein Typ wie Sunderland unter ihnen wäre, würde T. wahrscheinlich dazu neigen, ihn für den Gesuchtenzu halten. Seine Erfahrung sagte ihm, dass Menschen mit so versteinerten Mienen und schmalen Lippen wie Sunderland immer etwas zu verbergen hatten. Während des Prozesses gegen Bud Curtis hatte sich Sunderlands Rolle gewandelt: von der grauen Eminenz im Hintergrund zum Akteur im Rampenlicht. So viele Spuren führten zu ihm. Er hatte die Leute vom Secret Service rekrutiert. Er hatte das Hotel in Virginia Beach begutachtet und für geeignet erklärt. Er spielte also ganz offensichtlich eine Rolle in dem ganzen Drama. Ob bewusst oder unbewusst, war im Moment noch nicht festzustellen, aber T. konnte sich sehr gut daran erinnern, wie Sunderland im Gerichtssaal gesessen und alles sehr aufmerksam verfolgt hatte.
Jetzt war die Frage, ob der Brigadegeneral in diesem feudalen Wohnsitz dem noch etwas hinzuzufügen hatte.
Der alte General verstand es, Haltung zu bewahren, aber man
Weitere Kostenlose Bücher