Das weingetränkte Notizbuch: Stories und Essays 1944-1990Fischer Klassik PLUS (German Edition)
Ezra Pound
Je länger ein Mensch tot ist, desto mehr neigen wir dazu, an seinen Stärken und Schwächen zu drehen; dass er sich nicht wehrt, macht uns mutig in unserem Urteil. Und Pound wird jetzt schon geraume Zeit durchgekaut und hat uns Pound-Schulen und Pound-Experten beschert, und diese Experten sind eher in der Lage, Ihnen etwas über E. P. zu erzählen als ich. Ich kann Ihnen nur aus einer vielleicht zu wenig fundierten Sicht erzählen, was ich von ihm halte und wie ich zu ihm stehe. Da ich mein Leben weitgehend als ungelernter Arbeiter vergeudet habe, beschränkt sich mein Studienhorizont so ziemlich auf mich selbst. Aber legen wir los …
Als Erstes möchte ich sagen, dass zumindest eine der von Pound hinterlassenen Schulen einen Teil unserer Lyrik wirklich vorangebracht hat, nur hat diese Schule sich besser auf Geläster und kleinkarierte Abgrenzung verstanden als darauf, bleibende Werke zu schaffen. Und darauf hat Ez doch immer Wert gelegt: »Macht eure ARBEIT!« Diese Jungs haben eher darüber geredet , wie Dichtung sein sollte, und in kritischen Artikeln dargelegt, wie Dichtung sein sollte. Das hat fast ihre ganze Zeit verschlungen, und zu guter Letzt hat es sie selbst verschlungen. Auf Pfad und Weg des Wortes zu achten kann lohnend sein, wenn solche Theorien nicht zu Verstopfung und Drosselung führen. Viele von den hausgemachten Vorschriften, den beliebig umkehrbaren Merksätzen, was Sache sei und was nicht, waren doch nur inzestuöse Kopfgeburten nicht besonders kluger Männer. Wir können Pound manches vorwerfen, aber nicht, dass er uns … die … hinterlassen hat.
Und weiter? Auf dem Höhepunkt einer zehn Jahre langen Sauferei, während der ich so gut wie nichts schrieb, so gut wie nichts las und ausgiebig hungerte, sorgte ein mehrmals wiederkehrendes Ereignis für Heiterkeit bei mir und meiner Teuren. Man könnte sagen, die Teure war eine Straßenfee, mit der ich ein paar Jahre zusammenwohnte. Wenn ich nach dem ziemlich langen Spaziergang zur Stadtbücherei zurück in unsere Bude kam und wieder das dicke, schwere Buch auspackte, fragte sie jedes Mal: »Hast du dir schon wieder den verfluchten Wälzer ausgeliehen?« Und ich antwortete: »Ja, Baby, die Cantos .« Und ihre Reaktion war immer die gleiche: »Aber du liest sie doch nie!«
Im großen Ganzen war das richtig. Bestimmte Teile der Cantos konnte ich aber lesen, und wenn ich auch nicht immer genau wusste, was ich da las, musste ich doch bewundern, wie kunstvoll er die Zeilen auf dem Papier zum Tanzen brachte. Pound war für die Poesie, was Hemingway für die Prosa war: Beide verstanden zu erregen und mitzureißen, auch wenn gar nicht so viel ablief. Manch einer gefällt sich vielleicht darin, sie herabzusetzen, doch über sie hinweggehen kann man eigentlich kaum. Pound hat Eindruck gemacht. Und einer seiner besten Streiche war, dass er einer Zeitschrift, die sich damals Poetry: A Magazine of Verse nannte, frisches Blut und frische Kräfte zugeführt hat. Und er hat eben auch noch mehr geschrieben als die Cantos .
Ob Pound Antisemit oder Faschist war, oder ob er das Recht hatte, so etwas zu sein, steht auf einem anderen Blatt. Die Rundfunkvorträge, die ich gehört habe, klangen eher nach dem hirnlosen Gelaber eines von seiner Klugheit überzeugten Oberschülers als nach den Ergüssen eines Irren. Außerdem drängt es viele kreative Köpfe von Natur aus, die andere Seite der Dinge zu sehen. Und manchmal stellen sie sich nur so zum Spaß auf die andere Seite. Weil die andere, immer gleiche Seite schon so lange da war und so abgenutzt erscheint. Céline, Hamsun und andere sind zuzeiten dabei erwischt worden. Und man hat es ihnen nicht verziehen. Bei dem Versuch, über Gut und Böse (so es das gibt) hinauszukommen, gerät man mitunter ins Wanken und entscheidet sich für das (anzunehmende) Böse, weil es interessanter erscheint, erst recht, wenn die eigenen Landsleute sich wacker an das halten, was ihnen als das Gute nahegebracht worden ist (und es nie in Zweifel ziehen). Allgemein besteht bei intelligenten Menschen die Tendenz, nicht an das zu glauben, was die Massen glauben, und meistens liegen sie genau richtig damit; es kann sie aber auch den Arsch kosten, besonders in der Politik, wo der Sieger bestimmt, welche Seite recht hat.
Pound verbrannte sich den Mund, und um seinen Seelenarsch zu retten, haben wir ihn zu den Irren gesteckt und behauptet, er sei nicht Herr seiner Selbst gewesen. Dabei glaube ich, wenn die Faschisten, die
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