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Das weingetränkte Notizbuch: Stories und Essays 1944-1990Fischer Klassik PLUS (German Edition)

Das weingetränkte Notizbuch: Stories und Essays 1944-1990Fischer Klassik PLUS (German Edition)

Titel: Das weingetränkte Notizbuch: Stories und Essays 1944-1990Fischer Klassik PLUS (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Bukowski
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sterbend im Schnee lag, allein irgendwo in der Dunkelheit. Mary sprang von ihrem Stuhl auf und lief nach hinten.
    Wir warteten. Harry schenkte uns nach. Es gab nichts zu sagen. Schweigend tranken wir ein paar Minuten, dann kam Mary wieder.
    »Hören Sie«, sagte ich. »Es war ein schöner Abend. Jetzt sollten wir aber fahren. Er liegt dahinten, er hört, wie wir uns unterhalten, trinken, vielleicht lachen, und er kann nicht dabei sein. Das ist ungerecht …«
    »Ich glaube, er möchte Sie hier hören«, sagte Mary.
    »Wirklich?«
    »Ja.«
    Mary deutete auf die Wände. »Wir haben das Haus vor Jahren gekauft, als John in Hollywood anfing. Damals war es billig. Dann, Jahre später, haben wir uns umgesehen und waren von Millionären umgeben.«
    »Das ist keine Sünde«, sagte ich. »Ererbter Wohlstand ist das Übel; er schadet dem Charakter, weil man sich nicht bewähren muss.«
    »Was schreiben Sie gerade, Hank?«
    »Spielt keine Rolle. An John werde ich nie ranreichen.«
    »Weitermachen sollten Sie trotzdem.«
    »Kann sein. Ich weiß auch gar nichts anderes …«
    Dann kam wieder das Geheul aus dem Schlafzimmer. Mary sprang auf und lief nach hinten.
    »Arme Mama«, sagte Harry, »für sie ist es auch die Hölle. Seit er krank ist, ist sie die Augen, die Beine, alles für ihn. Sie liebt ihn total. Sonst hätte sie es leichter …«
    Nach einigen Minuten kam Mary wieder herein. Sie sah völlig erschöpft aus, so als wüsste sie einfach nicht mehr weiter … weder Liebe, noch Geduld, noch ein Wunder konnten helfen. Es war die endgültige Demütigung von Güte und Vernunft. Es passierte so oft an so vielen verschiedenen Orten, und es gab kein Mittel dagegen. Es war das absolut Unfassbare ständiger Qual.
    »Es war schön«, sagte ich, »aber wir müssen fahren.«
    »In Ordnung«, sagte Mary.
    »Sagen Sie John, es hat uns sehr gefreut«, sagte Alta.

    Alta fuhr uns zurück. Ich war kürzlich wegen Trunkenheit am Steuer verwarnt worden. Wir fuhren die Küste hinauf nach Santa Monica. Da war das Meer und der dunkle Sand. Da war der Mond. Da waren die Fische. Scheinwerfer strichen an uns vorbei. Wir folgten den strahlend roten Bremslichtern. Die Hölle stand himmelhoch vor uns und winkte mit den Armen. Wenige sahen sie, aber das würde noch kommen.
    Ich lauschte dem Motor, suchte mein Heil im Klang. Vor Santa Monica tauchten rechts die hohen Palmen auf. Die Palmen, die John Bante, der Junge aus Colorado, in seinen Büchern so oft erwähnte. Schwach, wie ich war, machte ich eine Flasche Wein auf und reichte sie Alta. Sie nahm einen Schluck wie ein Profi, Steuer geradeaus, und gab mir die Flasche zurück …
    Bante schrieb den Roman wirklich zu Ende. Will sagen, er verließ das Krankenhaus nach der Operation und diktierte ihn Mary, die ihn auf der Maschine schrieb. Vielleicht hatte John die Uhr im Kopf. Ich bekam eine Kopie des Manuskripts, und es las sich gut. Es war zwar nicht Sporting Times , aber für einen Blinden ohne Beine war es eine gute Arbeit. Auch für jemanden, an dem alles dran war, wäre es eine gute Arbeit gewesen. Ich freute mich, als Larkin mir sagte, er wolle das Buch herausbringen. Und auch noch einige frühere Sachen von ihm. Bante war mit einem Schlag bekannt geworden. Sporting Times hatte sich gut verkauft und tolle Besprechungen bekommen. Die Kritiker wunderten sich, dass der Mann jahrzehntelang unbeachtet geblieben war. Sporting Times wurde inzwischen ins Deutsche übersetzt. Und Bante spielte bereits mit dem Gedanken, noch einen Roman zu schreiben.
    So ungefähr eine Woche verging, nein, pardon, wohl doch eher drei Wochen. Jedenfalls bekam ich an einem Katermorgen einen Anruf von Mary.
    »Er ist wieder im Krankenhaus, Hank …«
    »Noch eine Operation?«
    »Ja …«
    Verdammt, dachte ich, wie viel können die noch wegschneiden? Was ist noch übrig?
    Ich ließ mir seine Zimmernummer geben, und Alta und ich fuhren los …
    Als wir hinkamen, war Bante allein in seinem Zimmer. Offenbar schlief er. Ich sah ihn atmen. Wir gingen einen Kaffee trinken.
    Als wir wiederkamen, war eine Krankenschwester bei ihm, eine von den Fröhlichen, die schon so viele Tote und Sterbende gesehen haben, dass sie es beinah als Witz nehmen. Sie grinste uns über die Schulter hinweg an: »Einen Moment, er bekommt grad seine Spritze!«
    Wir warteten vor der Tür. Dann kam sie immer noch grinsend raus: »Alles klar, jetzt gehört er Ihnen!«
    Wir gingen rein. »Tag, John, wir sind’s, Hank und Alta.«
    »Diese Schwester

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