Das weingetränkte Notizbuch: Stories und Essays 1944-1990Fischer Klassik PLUS (German Edition)
Nazis gesiegt hätten, hätte Pound sich als einer der Ersten gegen sie gestellt, koste es, was es wolle. So aber wurde er auf der Verliererseite erwischt, und Verlierer sind noch niemals siegreich aus einem Kriegsverbrechertribunal hervorgegangen.
Außerdem neigt in Amerika seit Ende des Ersten Weltkriegs die sogenannte Intelligenz – die Universitäten – der Linken zu (mit einem gewaltigen Boom von 1931–1947). Und wenn Künstler links eingestellt sind, wird das nicht nur als verzeihlich angesehen, sondern als eine höhere Form künstlerischen Mutes betrachtet.
Pound fügte sich in diesen geistigen Rahmen nicht ein.
Woran sind wir also? Die Pound-Schüler sagen, man muss ein Lebenswerk als solches werten und kleine politische Überspanntheiten dabei außer Acht lassen. Nichtschaffende sagen, man muss den ganzen Menschen beurteilen. (Nach ihren Maßstäben, versteht sich. Wenn ich richtig liege, liegst du falsch. Klar?)
Wird die Geschichte des Menschen von dem geprägt, was der Mensch letztlich an Gutem in sich hat, oder von Machtgier und dem Hunger nach Macht? Oder spielt beides mit? Ich weiß es nicht. Ich gehöre zu den Schandkerlen, die keine politische Einstellung haben. Dafür weiß ich zu wenig oder zu viel.
Von Pound weiß ich nur, was ich von seinem Werk gelesen und verstanden habe. Ich glaube, als Künstler hatte er ein glänzendes Gespür für das Wort: wo es hingehört und wie. Und wie! Außerdem war er ein Schlitzohr und hat oft hinter vorgehaltener Hand darüber gelacht, wie er uns drankriegt. Er wird gewusst haben, dass viele seiner Sachen fauler Zauber waren, aber der feine Stil, in dem er uns reingelegt hat, war eine Kunst für sich.
Hat nicht Nietzsche auf die Frage nach der Dichterzunft geantwortet: »Die Dichter? Die Dichter lügen zu viel.«
Pound hat die Lüge verfeinert; er hat sie in den Kontext anspruchsvoller, komplexer Unterhaltung gestellt. Manchmal sah er selbst nicht durch. Seine Texte konnten einen in die Wolken heben; dann wieder waren sie bloß kalter Kaffee.
Nur wenige Menschen halten einen klaren, geraden Kurs. Wenn Pound im schlimmsten Fall der absolute Blender ist, durch wen wollte man ihn ersetzen? Robert Lowell?
Dichter sind natürlich nicht die Einzigen, die an unserer Welt leiden, sie reden nur mehr darüber. Und die Kritiker, mein Freund, was sind die Kritiker doch für ein verrotteter Haufen Krabbenfleisch. Vergebung, aber das ist alles, was ich in meiner Jämmerlichkeit darüber weiß. Im Prinzip habe ich nur eins zu sagen: Ezra, ja.
Ja, ja, ja, ja, ja und noch mal ja.
Ein anderes Portfolio
gab’s in den 40ern, herausgegeben von Caresse Crosby, Black Sun Press, der Witwe von Harry Crosby, der dauernd von Selbstmord und der Schwarzen Sonne schrieb, bis er eines Abends zusammen mit einer Prostituierten in einem Pariser Hotel Ernst machte; jedenfalls schickte ich mit vierundzwanzig was an Portfolio , und es wurde angenommen.
Ein, zwei Jahre später bin ich total neben mir, übe mich immer noch als Schriftsteller und hause in einem Teerpappeverschlag in Atlanta für $ 1.25 die Woche, ohne Wasser, ohne Heizung, ohne Licht.
Ich fühle mich schlimmer als Kafka und vielleicht noch mieser als Turgenjew; ich hungere mich durch den Tag, gestrandet, verstoßen von den Eltern, die ohnehin nichts hatten, bin blank, hab keinen Cent, aber ich habe Briefmarken und Briefumschläge und die alte Portfolio -Adresse und die Adresse von Kay Boyle. Beiden erzähle ich in einem 5 oder 6 Seiten langen Brief, was von meinem Körper und meiner Seele noch übrig ist – es geht rapide bergab damit –, und ich schicke die Briefe ab und warte, warte, warte; an einem Obststand versuche ich einen Apfel zu stehlen und werde zu meiner Beschämung erwischt. Vorher hatte ich noch nie etwas gestohlen, und ich wartete und wartete, und meine $ 1.25 Miete wurden überfällig, aber damit durfte ich mir Zeit lassen, weil der Vermieter mit dem Tod rang, genau wie ich, viele Christusse an vielen Kreuzen, und jedenfalls kam nie eine Antwort von Kay Boyle, der großen Liberalen mit dem großen Herzen für die Bedrückten; ihr Schreibstil hatte mich sowieso nie begeistert, zu glatt, ohne Kanten. Ich hatte um $ 10 gebeten und versprochen, sie zurückzuzahlen; das hätte ich auch getan, denn so bin ich.
Jedenfalls kam dann ein Brief von Caresse Crosby; Portfolio sei tot, aber sie erinnere sich an meine Story, eine tolle Story, sie lebe jetzt in einem Schloss in Italien und widme ihr Leben ganz
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