Das weingetränkte Notizbuch: Stories und Essays 1944-1990Fischer Klassik PLUS (German Edition)
Pissoir der nächsten Kneipe, schlief ich am Strand von Miami Beach und arbeitete als Teilzeitlagerbursche bei Di Prima.
Es ist wie der alte Witz vom Wetter: Alle reden über Lyrik, aber keiner kann was dran machen. Allgemein – und mehr als für die anderen Künste – gilt, dass wir zu sehr den Traditionen verhaftet sind. Ich wüsste nicht, warum man mit dem geschriebenen Wort nicht so verfahren können soll wie mit Farbe und Klang. Es gibt keinen Grund für uns, in den eingefahrenen Gleisen zu bleiben und den anderen Künsten das Feld zu überlassen. Aber die Tradition war erfolgreich, und die Affen arbeiten sich sorgfältig zu ihrem Hurra! Hurra! vor. Die Tradition ist zäh, Freunde – wer einen Kater hat, greift zu Alka Seltzer. Um ein Gedicht zu schreiben, liest man seinen Keats und Shelley noch mal; um ein modernes Gedicht zu schreiben, liest man seinen Auden, Spender, Eliot, Jeffers, Pound, seinen W. C. Williams und seinen E. E. C. noch mal. Das ganze Spiel stinkt. Wir haben keine 5 Leute im Land, die 4 echte Zeilen zu Papier bringen können. Es ist immer noch das Spiel der Weicheier, der Sterngucker, der Lesben und der Englischlehrer.
Nennen Sie mich von mir aus einen Dickschädel, unkultiviert, versoffen, mir ist es egal. Die Welt hat mich geformt, und ich habe geformt, was ich kann. Ich habe blutige Rinderhälften auf der Schulter transportiert, die Minuten vorher noch ein lebendes Ganzes waren, und sie knorpelknackend an den stumpfen Haken auf dem Lkw-Dach gewuchtet; ich war mit einem Mopp in der Damentoilette zugange, während Sie schliefen; ich habe Besoffene gefilzt und bin im Suff gefilzt worden; ich habe einen Totalisator angebetet; ich habe am Pissbecken einen Totschläger über den Kopf bekommen, weil ich ein Gangsterliebchen angebaggert hatte; ich war mit einer Millionärin verheiratet und habe sie verlassen; von Küste zu Küste bin ich betrunken durch die Straßen gekraucht; ich habe Autos betankt, in einer Hundekuchenfabrik gearbeitet, Christbäume verkauft, sogar den Vorarbeiter gemacht; ich war Lastwagenfahrer, auf Stiefel spitzender Türsteher in einem Puff in Texas; ich habe ein Jahr auf einer Yacht gelebt, wo ich lernte, einen Außenbordmotor zu bedienen, und mit der Frau eines wohlhabenden einarmigen Irren schlief, der sich für ein Genie an der Orgel hielt und mich die Texte für seine verdammten Opern schreiben ließ, und die meiste Zeit war ich betrunken, und er war meistens auch betrunken, und alles ging gut, bis er starb, aber warum noch weiter davon erzählen? Lyrik ist das Thema.
Das Thema ist langweilig.
Lyrik muss werden, muss sich rehabilitieren. Whitman hat da was verdreht; ich würde meinen, um ein tolles Publikum zu bekommen, brauchen wir zuerst mal tolle Gedichte. Ich habe das zwar noch nie gesagt, aber da ich so in Schwung bin, sollte ich jetzt vielleicht mal festhalten, dass sich Ginsberg als die aufrüttelndste Kraft in der amerikanischen Dichtung seit Walt erwiesen hat. Jammerschade, dass er ein Homo ist. Jammerschade, dass Genet ein Homo ist. Nicht, dass es eine Schande wäre, ein Homo zu sein, aber beschämend ist, dass wir warten müssen, bis uns die Homos zeigen, wie man schreibt. Whitman ist, wenn ich nicht irre, den Seemännern nachgelaufen. So ein Mannsbild, mit so einem hübschen, schlohweißen Denkerbart, so schönen Gesichtszügen – und läuft Seemännern nach!
Kann man es den Schuljungen da verübeln, dass sie sagen, Dichter sind Weicheier? Sieht man nicht förmlich vor sich, wie Whitman einen tumben Seemann ins Bein kneift und grinst? Sieht man nicht den Rest vom Lied?
Der Rest von euch, ob’s einer oder zwei sind, muss die Kurve kriegen. Ich schätze, ich schreibe ganz gut, aber längst nicht gut genug. Und da ich alt werde, zu viel trinke, zu viel rede, wird es Zeit, dass ein echter Sturkopf sich energisch Gehör verschafft –
damit endlich
die hartknochigen Schuljungen
ihre Fäuste, Schlaghölzer und Steine
sinken lassen
und ihr Ohr dem echt
starken
E. E. Cummings in Bronze leihen
vor dem Hurenhaus wie
vor der Highschool
– auf dass Ezra mit 100
nach Hause kommt
tätowiert mit chinesischen Bildzeichen und
zum Gouverneur von New Hampshire gewählt wird.
Und jetzt höre ich die alte Frau im Nebenzimmer mein Kind auf dem Schaukelpferd schaukeln: Huiii! Huiii! Huiii!
Es ist gut und doch auch eine Schande, was man den Menschen antut, und es ist eine Schande, was man mir angetan hat, so vorsichtig
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