Das weingetränkte Notizbuch: Stories und Essays 1944-1990Fischer Klassik PLUS (German Edition)
gehorcht, nicht einverstanden bin, und ich verneige mich vor den wenigen echten Romanautoren, aber das entschuldigt nicht die vielen Schwachköpfe, die auf sie gefolgt sind. Die guten drei Viertel von SCHULD UND SÜHNE gehören zu dem Wenigen, was einen halbverhungerten jungen Verrückten in der Ödnis unserer öffentlichen Bibliotheken am Leben hält. Sherwood Anderson war gut, bis er merkte, dass er mit einer Pose alle täuschen konnte; sein Vorgänger auf dem Gebiet war Faulkner (einer der größten und lausigsten Blender unserer Zeit, der prima ankam), danach lernte es Hemingway und schließlich eben auch Anderson. Aber Lyrik ist das Pferd, das in der Einlaufgeraden unwiderstehlich davonzieht und das Rennen macht; der Sieg ist ihm sicher. Wetten?
Also lagerte ich da auf den Parkbänken und ging in die Bibliothek, wo die Angestellten über meine Klamotten die Nase rümpften, und ich stieß auf die kritischen Artikel in der Kenyon und der Sewanee Review , und aus irgendeinem Grund macht sich das Zeug ziemlich gut, wenn man ein paar Tage nichts gegessen hat. Es wird an der vermittelten Unerschütterlichkeit liegen, und außerdem mag ich den Geruch der ungelesenen Seiten und die abwechselnd harten und weichen Töne, die so gemischt sind, als wüsste da wirklich jemand, was abgeht, und könnte von einer freundlichen, gelehrten Warte aus darüber reden. Diese melodische und effiziente Sprache! Und so schön hinterhältig! Ich las diese äußerst offiziösen und gelehrten Zeitschriften und zog winzige Augenblicke der Freude daraus – drei Minuten, fünf Minuten, und fertig war ich, SCHON WIEDER GELEIMT: In den Zeitschriften stand nichts von Belang, nichts über die Straßen draußen, die Parkbänke, die Gesichter, die greifbare Sinnlosigkeit des Lebens. Sie ließen sich über Tote aus, deren Rang so weit gesichert war, dass man gefahrlos über sie reden konnte.
Ich schrieb meine Kurzgeschichten in Druckschrift mit der Hand, weil ich keine Schreibmaschine und oft keinen Wohnsitz hatte, und ich kann mir vorstellen, dass so mancher fette Redakteur, der im Warmen saß, darüber gelacht und sie weggeschmissen hat, nur Whit Burnett vom alten Story -Magazin nicht, der auf lässige Art belustigt und interessiert zu sein schien, und was zurückkam, warf ich selber weg, und schließlich nahm er eine Story an. Aber ich dachte schon seit längerem an Gedichte. Irgendwie hatte ich das im Hinterkopf. Wahrscheinlich dachte ich daran, als ich mit den Gleisarbeiterkolonnen westwärts nach Sacramento fuhr. Wahrscheinlich dachte ich daran, als ich mit Courtney Taylor, dem Staatsfeind Nr. 1, eine Zelle teilte. Wahrscheinlich dachte ich daran, als ich auf der Flucht aus einem im Suff demolierten Zimmer in L. A. einem Filipino eine geborgte Reiseschreibmaschine vor den Latz knallte. Aber Sie wissen ja, wie das in Amerika ist. Ob auf dem Schulhof oder später, irgendwann dringen sie zu uns durch. Sie machen uns klar, dass Dichter Weicheier sind. Und damit haben sie nicht immer unrecht. Einmal habe ich in meinem Wahn an einem Kurs für kreatives Schreiben am L. A. City College teilgenommen. Junge, waren das Weicheier! Albern lächelnde, hübsch anzusehende Luschen. Vereint zum Schreiben über die Nettigkeit der Spinnen, Blumen, Sterne und Wochenendpicknicks. Die Frauen waren größer und stärker als die Männer, schrieben aber genauso schlecht. Es waren einsame Herzen, die das Zusammensein genossen, die aufgeregten Plaudereien, ihren Unmut und ihre abgedroschenen, zutiefst unoriginellen Ansichten. Der Lehrer saß auf einem handgeknüpften Teppich in der Mitte des Raums, keinen Funken Leben oder Geist in den glasigen Augen, und sie scharten sich um ihn und lächelten zu ihrem Gott empor, wobei die Frauen an ihren weiten Röcken zupften und die Männer inbrünstig ihre kleinen Knackärsche rausstreckten. Sie lasen sich gegenseitig vor und kicherten und rumorten und tranken Tee zu ihren Plätzchen.
Zum Schießen! – Ich saß für mich allein an der Wand, hohläugig und sauer und dennoch ums Zuhören bemüht und merkte, dass da, selbst wenn sie stritten, noch eine Art Waffenruhe zwischen beschränkten Geistern bestand.
»Bukowski«, fragte mich der Lehrer eines Tages, »warum sagen Sie nie was? Was denken Sie?«
»Das ist alles Blödsinn«, sagte ich, »alles, was in diesem Raum bisher gesagt worden ist, ist Blödsinn.«
Und das war das beste Gedicht des Semesters. Drei Wochen später, nach einem bisschen Glück beim Würfeln im
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