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Das weingetränkte Notizbuch: Stories und Essays 1944-1990Fischer Klassik PLUS (German Edition)

Das weingetränkte Notizbuch: Stories und Essays 1944-1990Fischer Klassik PLUS (German Edition)

Titel: Das weingetränkte Notizbuch: Stories und Essays 1944-1990Fischer Klassik PLUS (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Bukowski
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unerträglich sind, zusätzlicher Ballast am ohnehin schweren Anker, zusätzlich lastender Schmerz, zusätzlicher Scheiß, wo es vor lauter Scheiß ohnehin schon fast unmöglich ist, lebend aufzuwachen, zu urinieren oder was, sich anzuziehen und vor die Tür zu gehen. Der Schwachsinn und der Horror und die Gier und die Selbstsucht in unseren sogenannten besten Köpfen … der vorherrschende Schund, der hingenommene Ruhm, dieses Einhacken auf das Halsbrett unserer bereits in Ketten geschlagenen Seele … die Verdammnis ist so offensichtlich (oder wäre es zumindest, hätten nicht alle die Augen zu) und so gewöhnlich, wie wenn man die Schnäppchen-Armbanduhr aus dem Billigladen aufzieht und hofft, dass ihre zarten, feinen Innereien dabei nicht rausknallen und sie den Geist aufgibt. Unsere Schriftsteller – Schriftsteller überhaupt – sind fast ohne Ausnahme die schwächsten Geschöpfe auf Erden, die sich als Märtyrer, Seher, Lenker und Götter aufspielen. Ihre Schwäche ist so groß, dass ihre gelebte Lüge zur Literatur wird.
    Artaud als Irrer wusste das natürlich alles:
    »All diejenigen, die Anhaltspunkte im Geist haben …«
    »… all diejenigen, die ihre Zunge beherrschen können …«
    »… all diejenigen, für die das Wort einen Sinn hat …«
    »… diejenigen, die der Zeitgeist sind und die diese Gedankenströmungen benannt haben …«
    Damit meint Artaud diejenigen, die in ihrer Schwäche und ihrem Totsein JEDEN Köder schlucken, durch den sie höhere Ziele zu erreichen meinen. Ihre Hirnzellen hüpfen gern mit dem Nächstliegenden ins Bett, statt mit etwas Realem. Dem Normalsterblichen kann ich sein Scheitern nicht vorwerfen, denn er ist nervös und verliert leicht den Mut; aber böse werden kann ich, wenn die Versager mich mit ihrem süßen Brei vollkleistern wollen.
    »… diejenigen, die sich so gut zu zieren vermögen …«
    »… diejenigen, die Ideologien, die für unsere Zeit bedeutend sind, aufwirbeln …«
    »… diejenigen, über die die Frauen so gut schwätzen, und die über die Strömungen der Zeit schwätzen …«
    »ihr: bärtige Esel, wohlerzogene Schweine, Meister des falschen Wortes, Porträtisten, Feuilletonisten, Schönschreiber, Viehmäster, Käferkenner, Plage meiner Sprache.«

    In »Van Gogh, Selbstmörder durch die Gesellschaft« sagt uns Artaud: »Tatsächlich gibt es keinen Psychiater, der nicht ein notorischer Erotomane wäre.«
    Als sich Artauds Seelenklempner gegen die Anschuldigung verwahrte, antwortete Artaud:
    »Ich brauche nur, Dr. L., auf Sie als Element zu zeigen, Sie tragen das Stigma auf Ihrer Fresse, Sie gemeiner Schweinehund.« Dann ging Artaud ins Detail. Der arme Dr. L. war an den Falschen geraten.
    Artauds Nahaufnahme von van Gogh – ein Verrückter über einen anderen – ist ein Protest gegen die Gesellschaft UND das Leben, ein Leben, dem van Gogh nach Artauds Ansicht in seinen Gemälden freien Lauf gelassen hat: ein schauderndes, grässlich brütendes Etwas, durchschwirrt von Fledermäusen, schwarzem Blut und dem Gestank roher, breiiger Energie, mit verdorrten, wimmelnden Landschaften, Kerzen, Stühlen …
    »Ich glaube, er ist mit siebenunddreißig Jahren gestorben, weil er, hélas, das Ende seiner trostlosen und empörenden Geschichte erreicht hatte, des von einem bösen Geist Erdrosselten«, schreibt Artaud.
    Dr. Gachet, dessen Patient van Gogh war, wird weitgehend für van Goghs Selbstmord verantwortlich gemacht. Artaud hat sie gefressen, die guten Ärzte, wie es nicht anders zu erwarten ist von einem intelligenten Menschen, der längere Zeit in Krankenhäusern und Nervenkliniken verbracht hat. Nach und nach wird klar, dass es der Medizin in erster Linie ums Geld geht. In zweiter? Darum, den Patienten zu quälen und ihn, wenn irgend möglich, umzubringen. Stirbt der Patient, wird ein Bett frei, und die Kasse kann wieder klingeln – beim Bestatter (und zuweilen bei der Geistlichkeit).
    Artaud sagt: »Ich, ich selbst habe neun Jahre in einem Irrenhaus zugebracht und habe mich nie mit dem Gedanken an Suizid gequält, aber ich weiß, dass ich mich nach jeder Unterhaltung, die ich mit dem Psychiater während der Morgenvisite führte, danach sehnte, mich zu erhängen, denn mir war bewusst, dass ich ihm nicht die Kehle durchschneiden konnte.«
    Artaud wählt starke Worte, weil er zu den wenigen Künstlern gehört, die es nicht nötig finden, sich oder anderen etwas vorzumachen. Seine Klarheit, seine harten, spröden Sätze, sein Ekel

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