Das weingetränkte Notizbuch: Stories und Essays 1944-1990Fischer Klassik PLUS (German Edition)
Ketchum und so weiter auf den Fersen geblieben ist. Es gibt Gespräche, Beschreibungen und so weiter. Hotchner ist zwar kein toller Schreiber, aber sein Stil schleust einen durch das Ganze, ohne dass es zu holprig oder zu verwickelt wird. Hotchner hat einiges von Hems Werken fürs Fernsehen und fürs Kino bearbeitet. Mit anderen Worten, Hotchner hatte Erfolg durch Ernie, und Ernie hatte auch Erfolg. Hotch fungierte oft als Mittelsmann beim Schachern um die Rechte. Hem hatte eine Begabung dafür, sich die richtigen Freunde auszusuchen; das lernte er früh und blieb dabei. Andererseits hat er sich auch ein paar Speichellecker angetan, Arschkriecher, die ihn ausgelaugt und ihm kaum etwas zurückgegeben haben, und sei es nur Verehrung. Die Welt ist krebsartig befallen von solchen Schleimern, die sich an den Sieger, den Champion hängen und sich von ihm tragen lassen, da war Hemingway keine Ausnahme – sie haben sich an ihm festgesaugt und hatten eine gute Reise. Manchmal hat er einen abgeschüttelt, aber immer fand sich jemand anders dafür ein. Hems Name, sein Image standen in keinem Verhältnis mehr zu seinem Können. Einmal wurde er in Cuneo von der Menge erkannt und wäre totgetrampelt worden, wenn nicht eine Abteilung Soldaten eingegriffen hätte. Diese blindwütige Begeisterung ist eine Krankheit, die daher rührt, dass die Masse kein Mark, keine Seele, kein gar nichts hat und immer etwas sucht, womit sie die Leere füllen kann. Hem war ihr Typ. Ein echter Mann. Einer, der mit der Faust, der Knarre, dem Durst, den Frauen und dem Krieg umzugehen verstand, und nebenbei schrieb er noch – was eigentlich? –, sah sich Stierkämpfe an und fing große Fische. Als er dann Selbstmord beging, war es aus für sie. Vorläufig. Es findet sich immer ein anderer. Ein anderer echter Mann. Oder ein anderer van Gogh. Ein anderer Artaud. Ein anderer Céline. Oder auch ein Genet. Ein Drink ruft nach dem nächsten – lasst’s euch gutgehn!
Hotchner lernte damals einen Mann kennen, der (meine ich) nicht mehr so schreiben konnte wie der frühe Hemingway. Über den Fluss und in die Wälder und Ein Fest fürs Leben hatten nicht den kargen Hemingway-Stil. Und wie der Stil, so wirkte auch der Inhalt schwach, lahm, langweilig. Beide Bücher waren mühsam zu lesen, weil wir mehr erwarteten. In Der alte Mann und das Meer , das die Nobelpreisverleiher und viele Leute, die ich kenne, getäuscht hat, versuchte Hemingway zum Telegrammstil seiner frühen Arbeiten zurückzukehren, weil er (meine ich) seine Schwächen erkannt hatte. Den Stil bzw. die Struktur bekam er hin, aber der Inhalt war wieder schwach. Für die meisten, die Texte lesen , sah es nach einem tollen Comeback aus, aber für diejenigen, die Texte nicht nur lesen, sondern selber schreiben, lagen die Anzeichen auf der Hand: Hem war fertig. Befreundet mit Ava Gardner, Gary Cooper, bewundert in Amerika, geliebt in Spanien, Paris und Kuba, saß er nächtelang mit einer Handvoll Zufallsbekannter beim Wein und redete, redete, redete, nichts als ein alter Säufer, der von früher faselte und dem das Glück abhandenkam, wie zwei Flugzeugunfälle und der Tod seines Freundes Cooper zeigten. Was für ein Schlamassel! Er kannte Toots Shor, Leonard Lyons, Jimmy Cannon, sämtliche Sieger. Ein Champ tritt ab, wenn es so weit ist, sagte er. Er redete von Ted Williams, DiMaggio. Er hatte eine Liste. Der Rest war ein steiler Abstieg. Die Befürchtung, blind zu werden. Das Geschacher ums Geld. Die schmutzige Wäsche. Geistige Ermüdung, Zwangsvorstellungen. Heimliche Klinikaufenthalte unter falschem Namen; quasi Einweisungen. Elektroschocks. Es ging um die Welt. Die Schrotflinte. Ketchum 1961, mit 61 Jahren. Noch gar nicht so lange her. Es scheint, als wäre Hemingway schon länger tot. Möglich.
Das Tragische ist, dass man in Amerika ein Sieger sein muss. Nichts anderes wird akzeptiert. Und wenn der Sieger abstürzt, bleibt ihm nichts. Von wegen, der Sieger nimmt alles. Hotchner schreibt am Ende seines Buchs: »Ernest hatte es richtig erfaßt: Der Mensch ist nicht für die Niederlage geschaffen. Der Mensch kann vernichtet, aber nicht besiegt werden.«
Nein, Ernest hatte unrecht: Die Niederlage ist menschlich. Man kann vernichtet und besiegt werden. Solange man nur mit dem ersten Rang zufrieden ist und keinen Abstieg zulässt, wird man besiegt, vernichtet und besiegt und besiegt und besiegt und vernichtet. Erst wenn man lernt zu retten, was man retten kann , wird man weniger besiegt und
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