Das weingetränkte Notizbuch: Stories und Essays 1944-1990Fischer Klassik PLUS (German Edition)
Unterschied zwischen einem Menschen, der Schaden anrichtet, und einem, der das nicht tut, ist sehr gering.
Ich würde meinen, dass es bei der Verbrechensverhütung theoretisch darum geht, einzugreifen, bevor das Verbrechen geschieht. Mit anderen Worten, man kann für Trunkenheit am Steuer bestraft werden, nicht weil man Personen und/oder Sachen geschädigt hat , sondern weil man dazu in der Lage wäre. Und ich nehme an, der Grat zwischen Trunkenheit und Nichttrunkenheit kann sehr schmal sein, so dass man oft zu Unrecht als nicht nüchtern eingestuft wird. Und selbst wenn man nachweisen kann, dass man nach ihren Maßstäben nicht betrunken war, wird man geschädigt, denn man muss Kaution zahlen, die Anwaltskosten, man hat Stress; und die Niedergeschlagenheit, die Sorge, die Ungewissheit, der Zeitverlust sind auch nicht ohne.
Mit anderen Worten, aufgrund der Theorie, dass der betrunkene Fahrer anderen Schaden und/oder Schmerzen zufügen könnte , wird er mit Freiheitsentzug und hohem Bußgeld bestraft. Überträgt man diese Theorie auf andere Lebensbereiche, wird man sehen, dass alle Menschen eingesperrt gehören, denn jeder Einzelne wäre imstande , leichte oder schwere Straftaten zu begehen.
Bleiben wir bei dem alkoholisierten Fahrer, der niemandem Schmerzen/Schaden zugefügt hat – ihm selbst aber wird durch die Justiz im Namen der Gerechtigkeit Schmerz und Schaden zugefügt. Mit anderen Worten, DIE JUSTIZ SCHAFFT SCHMERZEN, WO VORHER KEINE SCHMERZEN WAREN. Zu Bußgeld und Haft kommt nicht selten der Verlust des Führerscheins oder des Arbeitsplatzes hinzu, und die Suche nach einer neuen Arbeitsstelle wird dann oft noch durch die »Vorstrafe« erschwert.
Wenn wir eine bessere Welt haben wollen (und wer ist schon so weit, dass er das nicht will?), dann ist die Beseitigung unnötiger Schmerzen ein guter Anfang. Was zu lachen gefällig? Wisst ihr, was Polizisten meiner Ansicht nach mit Betrunkenen machen sollten? Mit nach Hause nehmen sollten sie sie, statt sie ins Gefängnis zu stecken. Macht’s ihnen gemütlich, holt ihnen wenn nötig was zu trinken und sagt ihnen, sie sollen über Nacht dableiben. Lächerlich? Wieso? Was bitte ist lächerlich an einem bisschen Verständnis? Ich zahle Steuern, damit man mir dient, nicht damit man mich belästigt.
Notfalls, wenn der Betrunkene tobt und aggressiv ist, sperrt man ihn eben in seiner Wohnung ein, so dass er immerhin aufs Klo gehen und seine Tante in New Haven anrufen kann. Das ist besser als Knast. Und vergesst die Gerichte. Die Richter können wir zum Ausbessern der Schlaglöcher auf die Straße schicken oder so was. Ich sehe den Tag vor mir (sofern die Bombe ausbleibt), an dem es keine Knäste mehr gibt. Ich sehe den Tag vor mir, an dem praktisch jeder denkende Mensch es ablehnt, seinen Mitmenschen absichtlich Schaden/Schmerzen zuzufügen oder sie zu töten. Schwarze Schafe wird es natürlich immer geben. Aber es würden immer weniger werden, wenn Verständnis an die Stelle von Bestrafung träte.
Essay ohne Titel in A Tribute to Jim Lowell
Gute Kunst, Schöpfung ist ihrer Zeit im Verhältnis zum Establishment und zum Polizeistaat im Allgemeinen zwei Jahrzehnte bis zwei Jahrhunderte voraus. Gute Kunst wird nicht nur nicht verstanden, sondern auch gefürchtet, denn um für eine bessere Zukunft zu sorgen, muss sie klarstellen, dass die Gegenwart schlecht ist, sehr schlecht, und das geht den Herrschenden nicht eben glatt runter – es bedroht ihre Jobs, ihre Seelen, ihre Kinder, ihre Frauen, ihre neuen Autos und ihre Rosensträucher, wenn nicht mehr. »Obszönität« ist das Wort, das sie auffahren, um ihren eigenen Quark zu rechtfertigen und über die Werke und Standorte kreativer Köpfe herzufallen. Jim Lowells Buchladen bekam zur gleichen Zeit Polizeibesuch wie der von Steve Richmond hier an der Westküste, der Krebs zieht sich also quer durchs Land, und wie sagte jemand so schön zu mir: »Es ist wieder genau wie mit Howl .« Sehr viel weitergekommen sind wir also nicht. Das Problem bei solchen Razzien ist, dass die Richter auf die Realität und den Sinn reiner Schöpfung kaum besser eingestimmt sind als die Polizei. Die »kleinen Zeitschriften« finden nicht deshalb so wenig Anklang, weil ihre Autoren schlecht schreiben, sondern weil es nicht genug Leser gibt, die progressive Texte verstehen, verarbeiten und Spaß daran haben. Der schöpferische Künstler wird seit jeher von den Behörden und der Öffentlichkeit verfolgt – van Gogh wurde von Kindern
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