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Das weingetränkte Notizbuch: Stories und Essays 1944-1990Fischer Klassik PLUS (German Edition)

Das weingetränkte Notizbuch: Stories und Essays 1944-1990Fischer Klassik PLUS (German Edition)

Titel: Das weingetränkte Notizbuch: Stories und Essays 1944-1990Fischer Klassik PLUS (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Bukowski
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aus.
    »Da. Jetzt können Sie auch Musik hören.«
    »Ja. Vielen Dank. Sobald ich ein paar Platten habe.«
    »Haben Sie schon gefrühstückt?«
    »Keinen Hunger.«
    »Sie können immer gern zum Frühstücken runterkommen.«
    »Danke.«
    »Und wenn Sie kein Geld für die Miete haben, geht’s auch so.«
    »Ich will sehen, dass ich die Miete aufbringe.«
    »Und Sie müssen entschuldigen, aber meine Tochter hat mir geholfen, Ihr Zimmer sauberzumachen, und dabei ein paar Seiten Geschriebenes gefunden. Sie war ganz fasziniert von Ihrer Schreiberei. Sie und ihr Mann möchten Sie zu sich zum Abendessen einladen.«
    »Nein.«
    »Ich habe ihnen schon gesagt, dass Sie eigen sind. Ich habe ihnen gesagt, dass Sie nicht kommen.«
    »Danke.«
    Als sie gegangen war, lief ich ein paarmal um den Block, und als ich wiederkam, stand bei mir ein Riesentopf Eis mit sechs oder sieben Flaschen Bier drin und zwei Flaschen gutem italienischem Wein. Drei, vier Stunden später kam Mama auf ein Bier hoch.
    »Wollen Sie nicht doch mal bei meiner Tochter zu Abend essen?«
    »Sie haben meine Seele gekauft, Mama. Sagen Sie, wann.«
    Sie war mir über. Sie sagte, wann.
    Den Rest des Abends trank ich das Zeug und zog das alte Grammophon auf und sah zu, wie sich der leere, filzbezogene Plattenteller in verschiedenen Geschwindigkeiten drehte, und ich legte den Kopf an die kleinen Schlitze im Gehäuse des Apparats und lauschte dem Summen. Der ganze Apparat roch gut, sakral und traurig; das Ding faszinierte mich wie Friedhöfe oder Bilder von Toten, und es wurde ein guter Abend. In der Nacht fand ich sogar noch eine einzelne Schallplatte im Innern des Geräts und legte sie auf:
    Er hält die ganze Welt
    in Seinen Händen
    Auch dich und mich, Bruder
    Er hält die Kindlein
    In Seinen Händen
    Er hält uns alle
    in Seinen Händen …
    Das jagte mir einen derartigen Schrecken ein, dass ich am nächsten Tag, verkatert wie ich war, loszog und mir einen Job als Lagerbursche in einem Kaufhaus suchte. Am Tag darauf fing ich an. Ein altes Mädchen aus der Kosmetikabteilung (anscheinend im kritischen Frauenalter, 46 bis 53) schrie andauernd, sie brauche den Krempel AUF DER STELLE. Ich glaube, die anhaltende schrille Überdrehtheit ihrer Stimme war Schuld. Ich sagte zu ihr: »Hüpf nicht aus dem Höschen, Baby, ich bin gleich da und befreie dich von deinen Spannungen …« Der Filialleiter entließ mich fünf Minuten später. Dabei hörte ich sie noch am Telefon schreien: »Das ist ja wohl der ROTZIGSTE LAGERBURSCHE, der mir je untergekommen ist!!! Wofür hält der sich?«
    »Nun beruhigen Sie sich, Mrs Jason …«
    Auch das Abendessen brachte mich durcheinander. Die Tochter sah wirklich gut aus, und ihr Mann war ein dicker Italiener. Beide waren Kommunisten. Er hatte irgendwo eine tolle Nachtarbeit, und sie lag nur herum, las Bücher und rieb sich die herrlichen Beine. Sie schenkten mir italienischen Wein ein. Aber ich kriegte nichts auf die Reihe. Ich kam mir vor wie ein Idiot. Mit Kommunismus konnte ich so wenig anfangen wie mit Demokratie. Und nicht nur an jenem Abend dort am Tisch, sondern auch sonst kam mir oft der Gedanke: Ich bin ein Idiot. Merken das nicht alle? Was soll dieser Wein? Dieses Geschwätz? Es interessiert mich nicht. Es hat nichts mit mir zu tun. Können sie nicht durch mich durchsehen, merken sie nicht, dass ich nichts bin?
    »Uns gefällt, was Sie schreiben. Sie erinnern uns an Voltaire.«
    »Wer ist Voltaire?«, fragte ich.
    »Herr Jesus«, sagte der Mann.
    Sie aßen und redeten hauptsächlich, und ich trank hauptsächlich den italienischen Wein. Ich gewann den Eindruck, dass sie sich über mich ärgerten, aber da ich damit gerechnet hatte, nahm ich es nicht schwer. Jedenfalls nicht besonders. Er musste zur Arbeit, und ich blieb.
    »Wenn ich mal nicht Ihre Frau vergewaltige«, sagte ich zu ihm. Er lachte die ganze Treppe runter.
    Sie saß vor dem Kamin und zeigte ihre Beine bis über die Knie. Ich betrachtete sie von meinem Sessel aus. Zwei Jahre hatte ich nicht mehr gevögelt. »Es gibt so einen sensiblen Jungen«, sagte sie, »der geht mit meiner Freundin. Die zwei sitzen stundenlang herum und reden über Kommunismus, und er rührt sie nie an. Es ist ganz seltsam. Sie wundert sich und …«
    »Ziehen Sie den Rock höher.«
    »Bitte?«
    »Sie sollen den Rock höher ziehen. Ich möchte mehr von Ihren Beinen sehen. Tun Sie, als wäre ich Voltaire.«
    Sie zeigte tatsächlich etwas mehr. Ich war überrascht. Aber es war mehr, als ich

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