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Das weingetränkte Notizbuch: Stories und Essays 1944-1990Fischer Klassik PLUS (German Edition)

Das weingetränkte Notizbuch: Stories und Essays 1944-1990Fischer Klassik PLUS (German Edition)

Titel: Das weingetränkte Notizbuch: Stories und Essays 1944-1990Fischer Klassik PLUS (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Bukowski
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wurden ganz groß. Sie nahm die Flasche Bourbon und schwang sie über ihren Kopf.
    »Langsam!«, sagte ich.
    »Was?«
    »Wenn du das Scheißding wirfst, sieh zu, dass du mich triffst und ich k.o. gehe! Sonst kriegst du sie gleich zurück. Und ich werf nicht daneben! Jetzt schmeiß!«
    Sie sah mich an und stellte die Flasche hin.
    In der Nacht machten wir es ein paarmal. Es war sehr gut.
    Danach haben wir sechs bis acht Jahre zusammen in der Hölle gewohnt.
    Ich versuche mich hier kurz zu fassen, einen Überblick zu geben, aber wie soll man neunundvierzig Jahre in vier- oder fünftausend Wörter packen? Also muss ich noch einiges von dieser Jane erzählen – zum Beispiel von der ersten Nacht mit ihr, wie ich mitten im Stoß innehielt und sagte: »Ich weiß gar nicht, wie du heißt! Wie heißt du?«
    Ihre Antwort: »Was macht das denn für einen Unterschied?«
    An einem Abend mit meiner Jane war ich so besoffen, dass ich neben ihr von der Couch fiel, und dann schaute ich zu den schlanken Fesseln in den High Heels hoch, zu den perfekten Waden, den perfekten Knien, während sie einfach so dasaß. Ich hatte doppelt so viel getrunken wie sie und war schlicht von der Couch gekippt. Und wie ich so auf dem Rücken lag und an ihren Beinen hochschaute, sprach ich die unsterblichen Worte: »Baby, ich bin ein Genie, und außer mir weiß es keiner.«
    Worauf sie die unsterblichen Worte sprach: »Komm, raff dich vom Boden auf und setz dich hin, du blöder Hund!«
    Eines Tages musste ich auch sie zu Grabe tragen. Wie meinen Vater. Wie meine Mutter. Ich beerdigte sie zwei Jahre nach unserer Trennung.
    Aber vorher kam ich noch auf die Armenstation des (mir von früher vertrauten) Bezirkskrankenhauses von L. A. und wurde in einen dunklen Keller geschafft, und meine Papiere gingen verloren. »Die Papiere«, sagte die Oberschwester, »sind nach unten gekommen, als ich oben war.« Also wurde ich irgendwo dort unten in den Kellern vergessen, ein Sterbenskranker ohne Papiere, der fortwährend aus Mund und Arsch blutete. Der ganze billige Wein und das harte Leben kamen durch – in Fontänen von Blut. Dann fand jemand meine Papiere, und nach drei Tagen im Keller wurde ich in einen etwas helleren Bereich hinaufgebracht. Doch dann wurde festgestellt, dass ich kein Blutguthaben hatte. »Mr Bukowski«, erklärte mir die Oberschwester, »wenn Sie kein Blutguthaben nachweisen können, können Sie kein Blut bekommen.« Das hieß, ich würde sterben.
    Anscheinend ließen sie die Sterbenden und die Kranken einfach daliegen, bis sie tot waren. Rings um mich sah ich sie die Toten rausfahren. Dann hatten sie wieder Platz für Neuzugänge. Platz war das Problem. Und keine Schwestern, keine Ärzte. Es war schon ein Wunder, wenn man einen Praktikanten zu Gesicht bekam.
    Dann stellten sie fest, dass mein Vater auf der Arbeit ein Blutguthaben eingerichtet hatte. Außerdem versaute ich die ganze Station mit meinem Blut, ohne draufzugehen. Eine Schwester erschien wie ein vom Himmel gesandter Engel, steckte mir eine Nadel in die Vene und hängte die Flasche auf. Ich bekam sechseinhalb Liter Blut und sechseinhalb Liter Glukose hintereinander.
    Ich suchte mir eine Wohnung am Kingsley Drive, fand einen Job als Transportfahrer und kaufte mir eine alte Schreibmaschine. Und jeden Abend nach der Arbeit betrank ich mich. Statt etwas zu essen, hämmerte ich acht bis zehn Gedichte runter. Ich weiß nicht, wie ich von der Short Story abgekommen bin. Ich schrieb Gedichte und ahnte nicht, warum. Irgendwie hatte ich von J. B. May und seiner Zeitschrift Trace gehört, die einzige, die damals richtig Fahrt aufnahm unter den neu aufgekommenen, in Trace komplett aufgelisteten kleinen Zeitschriften. Und die »Kleinen« waren damals ein viel besserer Tummelplatz für die paar guten, realistischen Sachen, die geschrieben wurden. Jetzt hat sich die Szene geändert, ein Haufen Halunken mit billigen Vervielfältigungsapparaten hat die Kleinen übernommen und einen Abladeplatz für armselige Literatur und Poesie daraus gemacht. Die Kleinen sind jetzt mit den Großen auf einer Höhe – beide drucken Müll und wollen in erster Linie Einfluss, Bekanntheit und Geld, egal mit welchen Mitteln. Endlich ist der Pferdearsch beim Pferdemaul angekommen, und der Gaul frisst seinen eigenen Scheiß.
    Ich schrieb weiter Gedichte, wechselte Jobs und Frauen, beerdigte Jane, und dann holten sie mich langsam ein. Kleine Sammlungen meiner Gedichte erschienen: Flower, Fist and Bestial Wail. Run

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