Das weingetränkte Notizbuch: Stories und Essays 1944-1990Fischer Klassik PLUS (German Edition)
unweigerlich in die Tonne kotzte. Man sagte mir, in der Hütte hätten schon einige bedeutende Autoren gewohnt. Ihre Namen nenne ich mal nicht, denn da standen Bücher von ihnen, die ich mir angesehen und zu lesen versucht habe, und das war mit ein Grund für die morgendliche Kotzerei. Ein Radio gab’s auch, aber da Tucson abends keine Klassik bringt, musste ich mir die neuesten Rocksongs anhören, und das, zusammen mit den Büchern »bedeutender Autoren« und dem Süffeln, führte dazu, dass ich mich in diesem Häuschen so elend fühlte wie noch nirgendwo sonst auf der Welt. Es sprach sich herum, dass sie dort einen Irren hatten. Niemand besuchte mich, und das war wunderbar. Aber der Prof, der meinen Aufenthalt organisiert hatte, rief mich aus dem Krankenhaus an (wo er wegen Magengeschwüren lag) (klingt nach Gag, aber es stimmt) und sagte: »Sobald Sie weg sind, Bukowski, hauen wir die Hütte mit der Abrissbirne platt.«
»Gut zu wissen«, sagte ich, »aber vergessen Sie nicht, die ganzen bedeutenden Bücher vorher in Sicherheit zu bringen.«
»Gewiss nicht«, sagte er.
So ein verrückter Hund.
Nun, ich verschwand da nach einem von Webb angefangenen Streit über die »Hippies«. Von denen hielt ich nicht allzu viel. Ich war ein Einzelgänger. Und wusste über einiges von dem Bescheid, was sie gerade erst herausfanden, über den Krieg zum Beispiel oder wie verheerend es ist, vierzig, achtundvierzig Stunden die Woche etwas zu machen, woran einem nichts liegt, oder die Ehefalle. Aber die Hippies hatten mit mir nichts zu tun. Sie waren Spätmerker, und sie traten gern in Scharen auf, mit viel Geschrei. Und Drogen? Was war so heilig daran? Die gab mir einfach irgendwer, normalerweise gratis – Rote, Gelbe, Meth, LSD. Es spielte keine Rolle. Ich warf sie ein und war hinterher genau noch so wie vorher.
Sagen wir, ich war abgehärtet. Den ganz besonderen Kick gab es nicht. Nur ein Wohlgefühl oder, mit LSD, eine gepflegte Bilderschau.
C schnupfen, Pot rauchen. Das ging alles vorbei, und danach musste ich wieder rein in die Welt. Die Welt war immer da, wenn man runterkam. Schwer zu glauben, aber wahr. Nach dem Hochgefühl geht es immer runter, und von irgendwas muss man leben, und das ist hart, denn nach dem Runterkommen ist man schlecht zu gebrauchen für den Alltag als Versandangestellter, Kellner, Tellerwäscher oder Wagenwäscher. Und wenn man vorbestraft ist, um so schlimmer.
Die Hölle lauert überall.
Alles war eine Falle: Frauen, Drogen, Whiskey, Wein, Scotch, Bier – auch das Bier, ja –, Zigarren und Zigaretten. Fallen: Arbeiten oder nicht, Kunst schaffen oder nicht; alles war ein Netz, in dem man sich verfangen konnte. Die Nadel lehnte ich aus dem gleichen Grund ab wie einige sogenannte schöne Frauen – der Preis stand in keinem Verhältnis zum Wert. So wollte ich mich nicht abstrampeln.
Die Hippies mit ihrem LOVE-LOVE-LOVE-Geschrei bedeuteten mir also herzlich wenig. Für mich hörte sich das schon nach einem Befehl an, und Befehle mag ich nicht. Ich hörte drüber weg. Dann fing Webb eines Abends in seiner Wohnung in Tucson an, gegen die Hippies zu wettern. Seine einst wunderschön weißen Haare waren jetzt rot gefärbt. Und der alte Herr, der große Herausgeber, schrie dauernd nach seinen Tabletten. »Lou, hab ich meine Tablette heute schon genommen?« Es ging um ein Vitamin- oder Eisenpräparat, irgendso einen Quatsch – und dann zog der Alte gegen die Hippies vom Leder.
»Bukowski, du weißt, dass die Hippies nichts taugen!«
»Mich begeistern die auch nicht, Jon. Sie sind schwach. Sie gehorchen dem Herdeninstinkt. Es wimmelt von Blendern unter ihnen. Bei den meisten ist nichts dahinter, man sagt ihnen, worüber sie meckern sollen, und darüber meckern sie. Andererseits denke ich an das Heer der kleinen Angestellten in Schlips und Kragen mit fester Arbeitszeit, und dagegen sind die Hippies auch, und da gebe ich ihnen recht. Der Hippie ist lebendiger als der Börsenmakler.«
»Bukowski, ich möchte, dass du mir einen Anti-Hippie-Artikel schreibst.«
»Na, ich weiß nicht.«
»Ich meine, diese Kids übernehmen doch keinerlei Verantwortung , sie pfeifen darauf, sie tun nichts, sie wollen nichts tun – sie stützen die Gesellschaft nicht!« Der große Herausgeber Webb hörte sich an wie mein zu Grabe getragener Vater. Hallo? In unserer Welt lernten die Kids als Erstes, dass etliche Länder genug Wasserstoffbomben auf Lager haben, um uns alle dreißigmal ins Jenseits zu befördern –
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