Das weingetränkte Notizbuch: Stories und Essays 1944-1990Fischer Klassik PLUS (German Edition)
sind arbeitende, wandelnde Tote. Mein Körper und mein Verstand sagten mir, dass ich innerhalb von drei Monaten dazugehören würde. Nein, danke.
Ich hatte eine Schreibmaschine und keinen Job. Ich beschloss, einen Roman zu schreiben. Ich schrieb ihn in 20 Nächten, mit einem halben Liter Whiskey pro Nacht. Black Sparrow Press nahm den Roman, Der Mann mit der Ledertasche , an. Zwei oder drei Kapitel verkaufte ich außerdem als Stories an Zeitschriften. Ein merkwürdiges neues Leben bildete sich heraus.
Mein erster Fehler war die Annahme, ich könnte Tag für Tag viele Stunden durchschreiben. So kann man zwar schreiben, aber das wird dann labberig und verkrampft.
Andere Schriftsteller tauchten auf, klopften bei mir an und packten ihre Sechserpacks aus. Ich besuchte sie nie, aber sie kamen trotzdem. Ich trank und redete mit ihnen, aber sie gaben mir sehr wenig und hatten die Angewohnheit, zur falschen Zeit zu kommen. Frauen tauchten auch auf, aber die hatten meist etwas Nützlicheres zu bieten als Literaturgeplauder. Schlechte Schriftsteller reden mit Vorliebe vom Schreiben, gute Schriftsteller reden lieber über etwas anderes. Gute Schriftsteller kamen nur wenige.
Ich erhielt Anfragen wegen Lesungen und sagte zu. Ich las ungern, es war grässlich für mich, aber ich wollte leben, und es war eine Möglichkeit, auf die Schnelle mein Überleben zu sichern, wie ein Überfall auf einen Schnapsladen so ungefähr. Meiner Meinung nach interessierte sich das Publikum nicht für Gedichte; es interessierte sich für Persönliches. Wie sah der Dichter aus? Wie redete er? Was passierte nach der Lesung? Sieht er aus, wie er schreibt? Wie findest du ihn? Was meinst du, wie er im Bett ist?
Nach einer Lesung auf einem Benefizabend für Kenneth Patchen in einer Villa in den Hollywood Hills hat mich mal ein Mädchen am Tresen abgefangen, als ich gerade zwei Drinks eingoss. Sie war schön und gut gebaut und jung, und sie richtete ihre tiefbraunen Augen auf mich, als sie sich vor mich hinpflanzte und sagte: »Bukowski, Ihre Gedichte, Ihr Auftritt war viel besser als die anderen. Ich möchte mit Ihnen ficken. Ficken Sie mich!« Guter alter K. Patchen, Gott schenke ihm Frieden, von dem Abend hätten wir beide profitieren können, aber ich schob mich an der Kleinen vorbei, indem ich ihr mitteilte, ich sei in Begleitung einer Dame da, und auch sonst sei es nicht meine Art, auf Kommando zu ficken …
Die meisten Dichter lesen schlecht. Sie sind entweder zu eitel oder zu blöd. Sie lesen zu leise oder zu laut. Und meistens sind natürlich auch ihre Gedichte schlecht. Aber das Publikum merkt es kaum. Es labt sich an der Person. Und es lacht an den falschen Stellen und mag die falschen Gedichte aus den falschen Gründen. Aber schlechte Autoren schaffen ein schlechtes Publikum; Tod zieht Tod nach sich. Ich musste meine ersten Lesungen in ziemlich berauschtem Zustand abhalten. Natürlich spielte Angst mit, die Angst, vor denen zu lesen, doch die Abscheu überwog. An einigen Universitäten musste ich einfach die Flasche rausholen und beim Lesen trinken. Es ging ganz gut – der Applaus war in Ordnung und das Lesen halb so schlimm, nur wollte man mich anscheinend nicht noch mal haben. Zweiteinladungen habe ich nur da bekommen, wo ich beim Lesen nicht gebechert habe. So viel zu den literarischen Maßstäben. Hin und wieder gerät man als Dichter aber auch an ein magisches Publikum, und alles stimmt. Wie das kommt, kann ich nicht erklären. Es ist ganz seltsam – so als wäre der Dichter das Publikum und das Publikum der Dichter. Alles fließt.
Partys im Anschluss an Lesungen können natürlich zu viel Spaß und/oder vielen Katastrophen führen. Ich weiß noch, wie nach einer Lesung nur im Studentinnenwohnheim noch ein Zimmer für mich frei war und wir deshalb dort feierten, die Profs und ein paar Studierende, und nachdem sie fort waren, hatte ich immer noch ein bisschen Whiskey und einen Funken Leben in mir und sah an die Decke und trank. Dann machte ich mir klar, dass ich letztendlich der Dirty Old Man war, und ich ging raus und klopfte an die Türen und verlangte Einlass. Ich hatte wenig Erfolg. Die Studentinnen waren nett, sie nahmen es mit Humor. Ich lief überall herum, klopfte an und verlangte Einlass. Bald wusste ich nicht mehr, wo mein Zimmer war. Panik. Verirrt in einem Wohnheim für Studentinnen! Es schien Stunden zu dauern, bis ich mein Zimmer wieder fand. Ich glaube, die Abenteuer, die mit den Lesungen einhergehen, sind das,
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