Das weingetränkte Notizbuch: Stories und Essays 1944-1990Fischer Klassik PLUS (German Edition)
was sie am ehesten über den bloßen Existenzkampf hinaushebt.
Einmal holte mich am Flughafen ein Betrunkener ab. Ich war selbst nicht ganz nüchtern. Auf der Fahrt in die Stadt las ich ihm ein schmutziges Gedicht vor, das mir eine Frau geschrieben hatte. Es schneite, und die Straßen waren glatt. Als ich zu einem besonders erotischen Vers kam, sagte mein Freund: »O, mein Gott!«, und verlor die Kontrolle über das Auto, so dass wir uns drehten und drehten, und im Drehen sagte ich zu ihm: »Das war’s, André, wir sind verratzt!«, und ich hob meine Flasche, und prompt landeten wir in einem Graben und saßen fest. André stieg aus und versuchte, jemanden anzuhalten; ich blieb mit Rücksicht auf mein Alter im Auto sitzen und nuckelte weiter. Und wer nahm uns mit? Noch ein Betrunkener. Wir hatten den Wagen voll Sixpacks und obendrauf eine Flasche Whiskey. Das wurde vielleicht eine Lesung.
Bei einer anderen Lesung, irgendwo in Michigan, legte ich meine Gedichte weg und fragte, ob jemand mit mir Armdrücken machen wolle. Dann setzte ich mich mit dem Freiwilligen auf den Boden, und umringt von vierhundert anderen Studenten fingen wir an. Ich besiegte ihn, und anschließend (nachdem ich meinen Scheck bekommen hatte) zogen wir alle los und betranken uns. Ich glaube nicht, dass ich das noch mal bringen werde.
Natürlich kommt es vor, dass du an der Seite einer jungen Dame in einem fremden Bett aufwachst und erkennst, dass du deine Gedichte ausgenutzt hast und dass deine Gedichte ausgenutzt worden sind. Ich glaube wahrhaftig nicht, dass ein Dichter mehr Anspruch auf einen schönen jungen Körper hat als ein Automechaniker. Das ist es, was den Dichter verdirbt: die Sonderbehandlung oder seine eigene Überzeugung, wirklich etwas Besonderes zu sein. Ich bin zwar etwas Besonderes, aber ich glaube nicht, dass das für viele andere gilt …
Über ein Jahr schlug ich mich als Schriftsteller durch. Bier, Rauchen, Miete, Alimente, Essen … Überleben. Mittags aufstehen, schlafen gehen um vier Uhr früh. Vier Abende in der Woche kamen mein Hauswirt und meine Hauswirtin mich abholen, und ich saß bei ihnen und trank literweise Freibier, während wir uns Geschichten erzählten und alte Lieder sangen und rauchten und lachten. Ich stellte die Mülltonnen an die Straße und holte sie wieder rein, um ein bisschen Miete zu sparen. Ein paar Tantiemen kamen rein. Die Sexblätter mochten meine dreckigen und unsterblichen Stories. Dann kam die Konjunkturflaute. Die Sexblätter zahlten nur noch knapp die Hälfte und warteten damit, bis die Sachen erschienen waren. Unterdessen stiegen die Preise und die Nächte wurden länger. Die Frauenbewegung hielt Einzug in die Redaktionen, und plötzlich gab es keine dreckigen Weiber mehr, genau wie es keine dreckigen Schwarzen mehr geben durfte und keine Kritik an Revolution, Rockmusik oder Indianern. Nicht, dass ich etwas dagegen gesagt hätte, aber das freie Schaffen unterlag Beschränkungen, die auch ich spürte, und die Redakteure waren nervös und die Verleger erst recht. Die Aktien fielen, und der Briefkasten blieb leer. Man konnte nichts tun als sich die Hucke vollsaufen und weiterschreiben. Wenn ein Schriftsteller lange genug dranbleibt und wirklich was draufhat, schafft er auch den Durchbruch. In schwierigen Zeiten muss er sich allerdings auch mal als sein eigenes Inkassobüro betätigen. Das ist zwar zeitraubend, aber wenn man das nicht bringt oder nicht die Stirn hat, 10 oder 20 Dollar für etwas zu verlangen, was normalerweise gratis ist, muss man irgendwann putzen gehen. Bei den Sexblättern ist es einfach – du übst sanft und höflich Druck aus, indem du ihnen klarmachst, dass sie schließlich Zeitschriften verkaufen und an deinen Stories verdienen und dass sie, wenn du ihnen weiterhin gute Stories liefern sollst, schlicht zahlen müssen. Die Buchmärkte in Europa sind schon schwieriger. Ohne Morddrohungen geht es kaum ab, wenn man den vertraglich vereinbarten Vorschuss für die Übersetzung dieser Storysammlung oder jenes Romans haben will. Mit den Deutschen habe ich da schon üble Sachen erlebt. Sie fühlen sich sicher, weil sie so weit weg sind, und pfeifen auf den Vertrag.
Besonders schwer hatte ich es mit einem Verein, der einen Band mit übersetzten Short Stories rausbrachte. Ich wusste, dass das Buch in einer großen deutschen Zeitung gut besprochen worden war, und der Übersetzer, ein ziemlich guter Freund, hatte mir gesagt, dass sich das Buch bestens verkauft. Ich wollte
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