Das weingetränkte Notizbuch: Stories und Essays 1944-1990Fischer Klassik PLUS (German Edition)
glaub nicht, dass du den Mumm dazu hast, Killer.«
Er steckte die Kanone wieder ins Holster. Wir haben ihn nie mehr zu Gesicht bekommen …
Mad Jack kam immer zu mir, um mich um 10 oder 15 Cents anzuhauen. Was ihm gerade so für eine Flasche Wein fehlte. Schließlich wurde er ein bisschen langweilig – trotz seiner Gemälde. Eine bestimmte Sorte Genie kann furchtbar öde sein. Eigentlich sind die meisten Genies öde, bis der Punkt kommt, wo sie in ihrer Kunst explodieren. Die Geistreichen sind immer die Schwindler. Jedenfalls fing ich an, Jack zu meiden. Dann hörte ich, dass er eine Ausstellung hatte, die ihm 6000 Dollar brachte. Er flog nach Kanada und haute innerhalb einer Woche alles in derselben Kneipe drauf. Dann stand er wieder um Kleingeld bettelnd bei mir auf der Matte. Zuletzt hörte ich, dass seine Freundin ihn rausgeworfen hat und er bei seiner Mutter lebt.
Irgendwann wird er mit seiner Malerei ein Vermögen verdienen, aber immer noch mit getrocknetem Rotz unter der Nase und einer Flasche Wein in der Tasche herumlaufen, und die kleinen dramatischen Dummheiten, die er in die Gegend schreit, werden als Juwele höchster Weisheit gelten …
Dann ist da noch Big T. J. oben in Echo Park. Ich glaube, er hat seit zehn Jahren kein neues Gedicht mehr geschrieben, bei Lesungen trägt er immer wieder die gleichen vor. T. J. hat ein Problem … Jedenfalls ist er ein Hüne und eine Art Mythos. Er hat in Venice West herumgehangen, als es zur Hochform auflief, die nackten Mädchen in der Badewanne, die Heiligen Barbaren, die ganze kranke Szene gewissermaßen, die wieder verschwinden musste, weil sie nur Show war statt echter Kreativität, aber jede Einzelheit zählt, wie die Tankstellen, die Würstchenbuden und die Sonntagspicknicks auch, wir wollen uns also nicht beklagen; jedenfalls ist T. J. immer gern in so einen Laden reingeplatzt und hat mit einem Schlag fünf Typen von ihren Hockern geholt. Dann hat er sich nach einem Tisch für sein Schachbrett umgesehen, hat die Jungs da ebenfalls zu Boden gefegt, sich seelenruhig hingesetzt, seine Pfeife in Brand gesteckt und mit seinem Partner zu spielen angefangen.
Heute sieht man T. J. die Mülltonnen in Echo Park nach Abfall der besonderen Art durchstöbern. T. ist ein großer Abfallsammler. Seine Wohnung ist so zugemüllt, dass man sich nicht hinsetzen kann. Meistens läuft ein Band. Zwischen dem Müll sieht man Tausende Bücher, von denen er einige auch gelesen hat. Mit Hitler kennt er sich besonders aus. Seine Wände sind mit Fotos, Zeitungsausschnitten, Sprüchen, Nackedeis und Malereien tapeziert. Es ist ein einziges Chaos, und T. J. sitzt mittendrin.
»Wenn ich nicht glücklich bin«, sagt er, »lohnt sich das Leben nicht.« Seine Arbeiten von vor zehn Jahren gehören zu den besten unserer Zeit. Sie sind klassisch und gelehrt, sie fließen, sie bergen Wissen und Explosionen. T. J. arbeitet nicht. T. J. macht gar nichts. Wie er sich über Wasser hält? Fragt sie. Fragt L.
Die Sonderlinge kommen immer wieder zu mir. Alle wollen mit mir süffeln. Ich kann nicht mit ihnen allen wohnen oder nett zu allen sein oder mich auch nur für alle interessieren. Aber in einem sind sie alle gleich – unser heutiger Lebensstil widert sie an, und sie reden darüber, manche sogar voller Wut, aber es ist schon erfrischend, dass nicht ganz Amerika auf die vorgegebene Linie abfährt.
Nicht alle, die vorbeikommen, sind Künstler (Gott und der lila Leberwurst sei Dank!) – einige sind einfach schräg. L. W. ist seit fünf oder sechs Jahren obdachlos, hat in Asylen und Missionen gewohnt, ist auf Güterzügen gereist und weiß einige interessante Geschichten von der Platte zu erzählen.
Er kam vorbei. Und er war ein guter Schauspieler. Er hat seine Abenteuer szenisch dargestellt, mit verteilten Rollen. Er war ernst und engagiert, aber auch ziemlich witzig, weil die Wahrheit selbst oft eher komisch als ernst ist. L. W. kam immer gegen vier Uhr nachmittags und blieb bis Mitternacht. Einmal haben wir uns dreizehn Stunden lang unterhalten und dann um fünf Uhr früh bei Norms gefrühstückt.
L. W. war ein Künstler, der seine Kunst nur übers Mundwerk zum Ausdruck bringen konnte. Ich habe mir einige Stories von L. W. zunutze gemacht. Nicht allzu viele. Eine oder zwei. Aber er fand Spaß daran, sich zu wiederholen, besonders wenn andere Leute dabei waren. Ich musste mir dieselben Stories zwei- oder dreimal anhören. Die anderen lachten, wie ich beim ersten Mal
Weitere Kostenlose Bücher