Das weingetränkte Notizbuch: Stories und Essays 1944-1990Fischer Klassik PLUS (German Edition)
lumpigen Blutsauger, die Strom abzapfen und dann in Freudengeschrei ausbrechen, wenn das einzige Licht, das sie je erblickt haben, am Leben scheitert oder endlich im Tod erlischt, auch wenn sie selber einmal sterben müssen …
Beim nochmaligen Durchlesen merke ich, dass ich vielleicht ein bisschen zu empfindlich bin, aber mir ist auch klar, dass sich dieser Artikel hauptsächlich an Literaten wendet, und wir sind nun mal ein verwöhnter, dünnhäutiger, zur Übertreibung neigender Haufen, und irgendwie finde ich, dass Übertreibung Kunst hervorbringt. Wir schreien, wenn wir gähnen sollen. Darum geht’s. Es reicht uns einfach nicht. Wir wollen einen neuen Vertrag. Geboren, um zu sterben. Was soll der Scheiß?
Na ja, leicht haben wir’s alle nicht. Will Rogers pflegte zu sagen: »Ich habe nie einen Menschen kennengelernt, den ich nicht mochte.« Ich sage, den Menschen, den ich wirklich mag, muss ich erst noch kennenlernen. Will Rogers hat viel Geld verdient; ich werde mittellos sterben. Aber ich tröste mich mit dem Gedanken: Wer arm stirbt, stirbt noch nicht armselig.
Schreiben ist letztlich das Einzige, was für mich in Frage kommt, und wenn ich dafür auf dem Scheiterhaufen ende, werde ich mich nicht als Heiligen betrachten. Ich war einfach überzeugt, es sei für mich das Einzige. Das zu tun, was man tun möchte, nur darum geht es – nicht einer unter tausend tut das. Meine Niederlage wird mein Sieg sein. Nichts wird verworfen. Ich bin ganz und gar, was ich in diesem Augenblick sein kann. Und damit scheißen wir mal auf das Gerede übers Schreiben. Das ist was für Federfuchser. Ich habe mich hinreißen lassen, bloß um euch einen Gefallen zu tun. Geschenkt. Wer macht das vierte Rennen im Turf Paradise am Mittwochnachmittag?
Über die Mathematik des Atems und des Wegs
Ich wollte mit einer kleinen Tirade gegen die Frau loslegen, aber da sich der Rauch an der heimischen Front etwas verzogen hat, lass ich das mal, auch wenn fünfzigtausend Männer in diesem Land auf dem Bauch schlafen müssen, weil sie Angst haben, von wirr aus glasigen Augen blickenden Frauen mit Messern um ihr bestes Stück gebracht zu werden. Brüder und Schwestern, ich bin 52 und habe so viele Frauen hinter mir, dass es für fünf Männerleben reicht. Einige der Damen haben behauptet, ich hätte sie mit Alkohol betrogen; den Mann möchte ich sehen, der sein Ding in einen Dreiviertelliter Whiskey steckt. Die Zunge kann man zwar reintun, aber die Flasche reagiert ja nicht. Und damit genug gelacht, kommen wir auf das Wort zurück.
Das Wort. Ich bin auf dem Weg zur Rennbahn, erster Tag in Hollywood Park, aber ich erzähle euch was vom Wort. Das Wort richtig aufs Papier zu kriegen erfordert Mut; man muss die Form sehen, das Leben leben, es in die Zeile bringen. Hemingway bezieht jetzt Kritikerprügel von Leuten, die nicht schreiben können. Es gibt Hunderttausende Leute, die meinen , sie können schreiben. Das sind die Kritiker, die Nörgler und die Spötter. Sie zeigen auf einen, der gut schreibt, und nennen ihn ein Stück Scheiße, um sich darüber hinwegzutrösten, dass sie selber nichts zustande bringen, und je besser einer ist, desto mehr wird er beneidet und schließlich gehasst. Man muss sich bloß mal anhören, wie sie über Pincay und Shoemaker herziehen und sich das Maul zerreißen, zwei der besten Jockeys, die je ein Pferd geführt haben. Vor der hiesigen Rennbahn steht ein kleiner Zeitungsverkäufer, der schreit: »Hier das Neueste! Das Neueste über Shoemaker den Schummler.« Die Rede ist von einem Mann, der mehr Siege geholt hat als jeder andere lebende Rennreiter (und immer noch gut reitet), und dieser Zeitungsjunge mit seinen Groschenblättchen nennt den Schuh einen Betrüger. Der Schuh ist Millionär, nicht dass das wichtig wäre, aber er hat es mit seinem Talent dazu gebracht, und er könnte dem Jungen sämtliche Zeitungen auf einmal abkaufen, solange der Junge lebt und noch ein halbes Dutzend Ewigkeiten länger. Auch Hemingway wird von Zeitungsjungen und schreibenden Mädels verhöhnt. Sein Abgang hat ihnen nicht gefallen. Ich fand seinen Abgang ganz gut. Er hat sich selbst den Gnadenschuss gegeben. Und er war ein begnadeter Schreiber. Einige seiner Sachen waren zu stilbetont, aber es war ein Stil, mit dem er groß rauskam, ein Stil, der Tausende andere Schriftsteller, die sich etwas davon aneignen wollten, kaputtgemacht hat. Wenn ein Stil ausgereift ist, stellt man ihn sich einfach vor, aber Stil beruht nicht allein auf
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