Das weingetränkte Notizbuch: Stories und Essays 1944-1990Fischer Klassik PLUS (German Edition)
das schon! Ich bekomme unzählige kleine Zeitschriften zugeschickt, um die ich nie gebeten habe. Ich blättere sie durch. Gähnend heiße Leere. Mir scheint, das Wunder unseres Zeitalters besteht darin, dass so viele Menschen es schaffen, so viel zu schreiben, das rein gar nichts aussagt. Versuchen Sie’s mal. Es ist fast unmöglich, etwas zu schreiben, dem jeder Sinn abgeht, aber sie bringen es fertig und tun es andauernd und lassen nicht locker. Ich habe mal drei Nummern einer kleinen Zeitschrift rausgebracht, Laugh Literary and Man the Humping Guns . Die Sachen, die reinkamen, waren so unbrauchbar, dass mein Mitherausgeber und ich uns gezwungen sahen, die meisten Gedichte selbst zu schreiben. Er schrieb ein halbes, und ich schrieb es fertig. Dann schrieb ich ein halbes, und er brachte es zu Ende. Dann saßen wir da und dachten uns die Autorennamen aus. »Okay, wie nennen wir den Saftarsch?«
Und mit der Entdeckung des Hektographen wurde jeder zum Herausgeber von eleganten, billig produzierten Blättern, von denen kein Mensch was hatte. Ole war eine frühe Ausnahme, und wenn ihr es mir belegt, lasse ich vielleicht noch ein, zwei Ausnahmen gelten. Unter den besser gedruckten (nicht hektographierten) Zeitschriften muss man The Wormwood Review (fünfzig Nummern mittlerweile) als das herausragende Blatt unserer Tage ansehen. Ohne Aufhebens, ohne zu heulen, zu toben, zu stänkern, auszusteigen oder sich eine Pause zu gönnen, ohne (wie die meisten) damit anzugeben, dass er in Pacific Palisades wegen Trunkenheit vom Fahrradsattel weg verhaftet worden ist oder in einem Hotelzimmer in Portland jemanden von der staatlichen Kunstförderung in den Arsch gefickt hat, hat Malone immer wieder kraftvolle und unverwechselbare Stimmen vorgestellt, in jeder Ausgabe von neuem. Malone lässt seine Hefte für sich sprechen und bleibt unsichtbar. Ihr werdet nicht erleben, dass er eines Abends mit einer großen Billigflasche Portwein bei euch auf der Matte steht und sagt: »Hi, ich bin Marvin Malone, in meinem letzten Heft hab ich dein Gedicht Katzenscheiß im Vogelnest abgedruckt. Ich will einen draufmachen. Hast du was zu ficken für mich?«
Ein riesiger Zweckverband der talentlosen einsamen Herzen, das ist aus den kleinen Zeitschriften geworden, und ihre Herausgeber sind schlimmer als die Schreiber. Für einen Schreiber, der ernsthaft daran interessiert ist, Kunst zu schaffen statt Blödsinn zu verzapfen, kommen immer nur einige wenige Blätter in Frage, die nicht privat, sondern professionell betreut werden. Die Zeitschrift, in der dieser Artikel erscheint, kenne ich nicht, aber neben Wormwood empfehle ich als Anlaufhafen: The New York Quarterly, Event, Second Aeon, Joe Dimaggio, Second Coming, The Little Magazine und Hearse .
»Du willst doch Schriftsteller sein«, sagt sie, »– wenn du die ganze Energie, die du auf der Rennbahn lässt, ins Schreiben stecken würdest, wärst du ein großer.« Dazu fällt mir etwas ein, das Wallace Stevens mal gesagt hat: »Erfolg durch Fleiß ist ein bäuerliches Ideal.« Und wenn nicht so, dann hat er es so ähnlich gesagt. Das Schreiben kommt, wann es will. Man kann nichts dazu tun. Man kann nicht mehr Schreibe aus dem Leben rauspressen, als es hergibt. Jeder derartige Versuch versetzt dein Inneres in Panik, trübt und verdirbt den Text. Hemingway soll früh morgens aufgestanden und mittags schon mit seiner Arbeit fertig gewesen sein, aber bei Hemingway meine ich, ohne ihn persönlich gekannt zu haben, dass er Alkoholiker war und die Arbeit hinter sich bringen wollte, damit er süffeln konnte.
Die meisten neuen und unverbrauchten Talente stellen sich in den kleinen Blättern mit einem interessanten ersten Auftritt vor. Ah, denke ich, da ist doch mal jemand. Jetzt haben wir vielleicht mal was. Aber immer wieder setzt der gleiche Mechanismus ein. Der Unverbrauchte mit dem großen ersten Auftritt erscheint überall. Er nimmt seine Schreibmaschine mit ins Bett und in die Badewanne, und sie steht nicht mehr still. Sein Name ziert jedes Blättchen von Maine bis Mexiko, seine Sachen werden schwächer und schwächer und schwächer und erscheinen immer weiter. Jemand bringt ein Buch von ihm oder ihr heraus, und schon geben sie eine Lesung an der nächsten Uni. Sie lesen die 6 oder 7 guten ersten Gedichte und sämtliche schlechten. Fertig ist der nächste »Geheimtipp«. Aber statt zu dichten, bemühen sie sich jetzt nur noch darum, möglichst oft in möglichst vielen kleinen Zeitschriften
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