Das weingetränkte Notizbuch: Stories und Essays 1944-1990Fischer Klassik PLUS (German Edition)
hochkriegen.
6.
Irgendwo in meinem Werk habe ich das Bild vom ewig Betrunkenen geschaffen, und das entbehrt nicht ganz der Realität. Dennoch finde ich, dass mein Werk auch anderes zu sagen hat. Aber nur der ewige Trunkenbold scheint rüberzukommen. Ich kriege Anrufe, für gewöhnlich morgens um halb vier:
»Bukowski?«
»Ja.«
»Charles Bukowski?«
»Ja.«
»Hey, Mann, ich wollte bloß mal mit Ihnen reden!«
»Sie sind besoffen, Jungchen.«
»Was Sie nicht sagen. Ja und?«
»Hören Sie, ich weiß nicht, wer Sie sind, aber um drei Uhr morgens ruft man einfach keine Leute an, wenn man betrunken ist, erst recht keine Fremden. Das gehört sich einfach nicht.«
»Nein?«
»Nein.«
»Auch nicht Bukowski?«
»Den am allerwenigsten.« Ich legte auf.
Diese Jungs meinen, sie haben in mir einen Seelenverwandten, bloß weil ich mich zusaufe und morgens um drei Leute anrufe. Da müssen sie schon etwas weiter denken. Ich weiß noch, einmal war ich so fertig und hatte so viele Frauen vergrault, dass ich die Zeitansage anrief und mir fünf oder zehn Minuten lang ihre Stimme anhörte. »Es ist jetzt drei Uhr dreißig und zwanzig Sekunden, es ist jetzt drei Uhr dreißig und dreißig Sekunden …« Und was die für eine Stimme hat, weiß man. Wenn Sie das nächste Mal mit dem Gedanken spielen, mich anzurufen, wählen Sie lieber die Zeitansage und holen sich einen runter, wenn’s geht.
7.
Neulich hat mich ein Bekannter besucht, der gerade 19 Jahre abgesessen hatte, und er sagte mir, die meisten Typen säßen wegen Sexualdelikten, nicht weil sie die Republik um Geld betrogen hätten. Er bezeichnete sich als Schriftsteller. Zumindest im Gefängnis schrieb er viel. Mir schrieb er über meinen Verleger, und ich bekam Briefe aus dem Knast von ihm, auf die ich auch antwortete. Er war ein Schmeichler; immer wieder schrieb er mir, dass meine dreckigen Stories von Zelle zu Zelle gingen und die Jungs dabei abspritzten – bis auf einen, der meinte, ich hätte keine Ahnung vom richtigen Gebrauch der englischen Sprache, worauf ich antwortete, der Mann habe recht und er solle ihm sagen, das sei das Beste an mir. Da auch andere Knackis anfingen, mir zu schreiben, fand ich zweierlei heraus: Sehr viele Männer saßen hinter Gittern, und die meisten waren Schriftsteller. Mein Freund, der Knacki, sagte, er habe auch Briefe von William Saroyan ( ebenfalls ein großartiger Mensch) und meine Briefe und Bücher machten im Knast immer noch die Runde, genau wie meine Artikel aus den Undergroundzeitschriften, Gott, war ich großartig.
Er kam mit seiner besseren Hälfte und einem frisch entlassenen anderen Knacki und dessen besserer Hälfte vorbei. Er arbeitete jetzt als Zimmermann für $ 15.75 die Stunde, und sie waren aus dem Norden gekommen, um Disneyland und mich zu besuchen. Sie hatten vier Dosen warmes Bier dabei, und er meinte: »Gott, du bist ja wirklich so hässlich wie auf den Fotos.« Das wusste ich, aber neu war mir, dass ein guter Mann seinen Ständer eine Stunde lang halten und dreimal am Tag eine Frau besteigen kann. Von der Zunge sagte er kein Wort. Jedenfalls behauptete er, die meisten Verbrechen seien Sexverbrechen, und er hatte die Briefe von William Saroyan und zog, während er am Kamin lehnte und meine Freundin ansah, dauernd seinen Reißverschluss rauf und runter. Er schien eine Autorität zu sein.
8.
Neulich Abend habe ich Katherine H. in Die Glas-M. gesehen. Ich frage mich, ob wir je erwachsen genug werden, um einzusehen, dass dieser Typ Schauspielerin eine sehr schlechte Schauspielerin ist und diese Art Schauspiel ein sehr schlechtes Schauspiel? Versnobtheit und Preziosität im Spiel wie auch im Text macht es – machen es für die breite Masse unzugänglich. Nicht, dass ich für die Masse viel übrighätte, weiß der Geier, dafür habe ich zu lange mittendrin gelebt, allerdings unter denkbar schlechten Bedingungen. Aber die Masse ist klein an Geist und Horizont und doch nicht kleiner, sondern vielleicht weniger klein und freundlicher und realer als Katherine H. und T. Williams und Die Gla s-M.
Das ist eine Münze mit zwei Kopfseiten – oder zwei Zahlseiten, aber da sie zusammenpappen, kommen sie schlecht voneinander los. Die Masse lehnt K. H. aus dem richtigen Grund ab: Sie ist eine schlechte Schauspielerin, eine ausgemachte Blenderin, der man die Entstellung und Überzeichnung von allem, was real ist, nachgesehen hat. Weil sie aber jeden Tag mit der Nase in der Scheiße stecken und sehr müde sind,
Weitere Kostenlose Bücher