Das weingetränkte Notizbuch: Stories und Essays 1944-1990Fischer Klassik PLUS (German Edition)
etwas von einem Schauspieler haben, muss extrovertiert sein und mehr oder weniger versessen auf schnelle Anerkennung – den Beifall derer, die sich um ihn scharen und ihn wenigstens in dem Gefühl bestätigen, dass er am Leben ist, ob sie von den Ideen, die vielleicht noch in ihm stecken, nachdem er sich mit seinen Arbeiten auf ihr Niveau begeben hat, nun etwas mitbekommen oder nicht.
Ich lasse mich bei Lyriklesungen nicht zum Publikum herab – ich lasse mich zu den Gedichten rauf . Wenn Gedichte so populär werden, dass sie Kabaretts und Varietés füllen, dann stimmt etwas mit diesen Gedichten oder diesem Publikum nicht. Entweder sieht das Publikum den Dichter als Kuriosum an, als einen zu Jazzklängen trällernden Clown, der zwischen den Drinks ein bisschen was Komisches bringt, oder der Dichter biedert sich bewusst beim Publikum an, um es für sich einzunehmen. Wir haben den Lämmergeier verdient, wenn wir uns zum Croupier setzen, und wenn wir heute in zwei, fünf oder zehn Jahren zurückschauen und sehen, wie wir den Köder geschluckt haben, werden denjenigen, die sich jetzt ins Fäustchen jubeln, bestimmt die Worte fehlen, um ihren Beitrag zur Prostitution und Kastration der Muse ins rechte Licht zu rücken.
Aus einem weingetränkten Notizbuch
keine Korrekturen am Falken oder am Wedeln deines Hinterns, meine Liebe – Korrektur am Schicksal des Menschen … Tod, Gott Tod ist unglaublich … ich habe die grünen Mauern und den Rosenkranz und den Tod gesehen vor Weihnachten, eine verschlossene Tür, mich abgewandt … gewässerter Rasen, und immer wieder Sonnenschein, Sonnenschein … warum?
Ich bin durch eine viel größere Hölle gegangen, als irgendwer ahnen oder sich vorstellen kann, und ich möchte meinen, es gäbe noch andere, möchte meinen, das Lachen gelte dem Atmen schlechthin, aber die Bücher sagen nein, die Bücher sprechen von Eintönigkeiten, sehr eintönigen Dingen auf eintönige Weise – niemand setzt das Messer am Aussatz des Schreiens an; überlassen wir das Leben nicht den Schwachköpfen, die es verschütten wie einen faden Brei, oder den Gintrinkerinnen. Ich glaube, heute werde ich ein Fenster einschlagen und mir E. Power Biggs anhören. Wie ich dazu komme?
Ich habe die Huren hier rausgejagt und den Küchenfußboden gewischt. Das nächste Problem ist die Miete. In noch nicht 7 Tagen bin ich 39 und lebe immer noch wie ein Zigeuner. Allerdings halte ich Dichtung für wichtig, nur darf man sich nicht dazu zwingen, sie nicht mit Sternen und Trug vollpacken. Dichtung, Farbe, Sand, Huren … Essen, Feuer, Tod, Blödsinn … das Kreisen des Ventilators … die Flasche.
… und wen hältst du für den größten Autor aller Zeiten?
An den größten Autor aller Zeiten denke ich nicht. Ich denke an ein paar Moderne, dann vergesse ich sie. Das ist keine Anmaßung, sondern Schutz gegen Einmischung.
glaubst du an Gott?
Nicht wenn Gott erfunden ist, und nur wenn er mich lässt. Gott muss uns ohne Kenntnis von sich erfinden, und wenn es einen gibt, hat er das wohl auch getan. Eine unmögliche Frage.
Warum schreibst du?
Ich schreibe aus Notwendigkeit. Sonst würde ich umfallen und sterben. Es ist genauso ein Teil von mir wie Leber und Darm, und ungefähr genauso glamourös.
Macht Schmerz einen zum Schriftsteller?
Schmerz macht gar nichts, Armut auch nicht. Der Künstler ist vorher da. Was aus ihm wird, hängt von seinem Glück ab. Wenn ihm (im landläufigen Sinn) das Glück hold ist, wird er ein schlechter Künstler. Hat er Pech, wird er ein guter. Im Verhältnis zur vorhandenen Substanz.
Tod ist Sieg.
Ich bin tot
ich bin tot
TOT
ein Zünder vor den fernen
Augen Chinas
und drei alte Männer, die im Nebel
rauchen;
beinah, beinah, sagt der Ofen
und der Hund springt vorbei am
goldenen Zweig.
vor dem Mast Gottes
tief eingetaucht in Watte und
Olivenöl
schlagen die Wellen hoch wie
Filmaufnahmen
von dem schönen Antlitz
Satans.
vielleicht, wohl wahr, die feine
Beweisführung der
Klaviertasten
vielleicht sogar das Laufen der
Pferde
geritten von kleinen Männern in Graugrün
Grün und Rot und
blauer Seide
die ihre Tiere durch die Reiser
peitschen,
Flüche über den
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