Das weiße Amulett
Kartoffeln.«
Mansfield brach in Gelächter aus. »Ist das Ihr Ernst? Ich meine, wir sind hier in Frankreich, vielmehr in Paris. Sie sitzen im Taunay, vor sich eine der exquisitesten Karten, und haben Appetit auf ein normales Schnitzel?«
»Ich weiß, das ist unverzeihlich. Aber Sie haben mich gefragt, und ich habe Ihnen nur ehrlich geantwortet. Natürlich werde ich etwas von der Karte nehmen.«
Sie betrachtete die wenigen Zeilen auf den Seiten und entschied sich schließlich für bœuf à la beaucairoise, während Mansfield cÔte de porc à l’ardennaise wählte.
»Und welchen Wein wünschen Madame et Monsieur?« Der Ober hatte mit hohler Hand die Martinis serviert und war den Gästen nach der Wahl des Menüs wieder etwas wohlgesonnener.
Karen schloss die Karte. »Einen roten Bordeaux, s’il vous plaît.«
»Geronde, Medoc oder Saint-Emilion?«
»Sie nimmt einen 83er Saint-Emilion. Und für mich bitte einen 82er Burgunder.«
»Sehr wohl.« Der Ober nahm die Karten und ging aus dem Raum.
Karen griff nach ihrem Martini und schwenkte das Eis im Glas. »Sie kennen sich mit französischen Weinen aus?«
»Ehrlich gesagt nicht so sehr, wie es vielleicht den Anschein hat. Ich kenne einige gute Jahrgänge, aber das ist auch schon alles. Überrascht Sie das?«
Sie sah ihn lächelnd an. »Ich dachte, Amerikaner würden nur Whiskey und Bier trinken.«
Mansfield beugte sich vor. »Und ich dachte, deutsche Frauen trügen alle so ein merkwürdiges Trachtenkleidchen und würden nur Sauerkraut essen. Dabei tragen sie in Wirklichkeit amerikanische Jeans und essen lieber Schnitzel.«
Der Ober brachte den Wein. Sie erhoben beide die Gläser und ließen ein sanftes Klirren erklingen.
»Auf dass alle Vorurteile dieser Welt verschwinden mögen«, sagte sie lächelnd, und ein Kobold tanzte in ihren Augen.
»So sei es. Cheers.«
»Cheers.« Sie setzte das Glas ab und genoss den sanften Geschmack des Rotweins. »Wie mild er ist. Ein wunderbarer Wein.«
Mansfield nickte. »Dieser Burgunder ist auch vorzüglich. Möchten Sie ihn vielleicht probieren?«
Sie schüttelte den Kopf. »Nein, lieber nicht. Von Burgunder bekomme ich immer so schnell Kopfschmerzen.«
Sie legte die extravagant gefaltete Stoffserviette auf ihren Schoß, als das Essen serviert wurde, und genoss das Rindfleischragout mit Speck und Kapern.
»Schmeckt es Ihnen, oder soll ich noch Rotkohl bestellen?«, fragte Mansfield sardonisch und musste lachen, als er ein halblautes »Wehe Ihnen!« von der anderen Tischseite zurückbekam.
Während des Essens sprachen Sie über New York und Hamburg, und Mansfield wollte mehr über Deutschland erfahren.
»Ich bin leider noch nie da gewesen«, gestand er, »aber Hamburg soll sehr interessant sein.«
Karen nickte. »Absolut! Mitten in der Stadt ist ein kleiner See, die Alster, auf der man segeln oder stundenlange Kanuausflüge machen kann. In der Innenstadt kann man hervorragend shoppen und bei einer Hafenrundfahrt die alte Speicherstadt bewundern. Und auch die Landungsbrücken sind legendär. Von Hamburg sind übrigens viele Menschen nach Amerika ausgewandert. Vielleicht auch Ihre Vorfahren?«
Mansfield schüttelte den Kopf. »Nein, sicher nicht.
Soweit ich weiß, stammt meine Familie mütterlicherseits aus Südfrankreich, wo mein Ururgroßvater mit seinem Uhrhandwerk pleite ging und nach Kanada auswanderte.«
»Kanada, wie schön.«
»Ja, die Landschaft bei Quebec ist wirklich großartig. Ich habe dort fast jedes Jahr meine Sommerferien bei meiner Tante Amelie und meinen Cousins verbracht.«
»Sprechen Sie deswegen so gut Französisch?«
»Es genügt, um sich verständlich zu machen«, wiegelte er ab. »Und wo haben Sie Französisch gelernt, Karen?«
»In der Schule.«
»Sie machen Scherze.«
»Nein, es ist wahr. Ich liebe diese Sprache und wollte sie unbedingt lernen. Also wählte ich sie in der Schule als zweite Fremdsprache.«
»Aber Sie haben mal eine Zeit lang in Frankreich gelebt.«
»Nein, habe ich nicht.«
»Dann kann man Ihrem Lehrer nur gratulieren.« Er nahm einen Schluck von seinem Burgunder. »Haben Sie in Hamburg studiert?«
»Nein, in Heidelberg und Kiel.«
»Literatur?«
»Ja, und Anglistik, Germanistik und ein bisschen Geschichte und Ägyptologie.«
Mansfield nickte anerkennend. »Und jetzt schreiben Sie Monographien über tote Menschen.«
»Meistens sind sie tot, aber manchmal leben sie auch noch. Mein letztes Buch war über einen achtzigjährigen Geigenvirtuosen, der mir mit
Weitere Kostenlose Bücher