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Das weiße Amulett

Das weiße Amulett

Titel: Das weiße Amulett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathinka Wantula
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Augen zu leuchten, als sie diesen prächtigen Lesesaal mit seinen schwebenden Kuppeln und der eisernen Deckenkonstruktion sah. An den Wandbögen waren herrliche Wandbilder zu sehen, die mit ihren sanften Grüntönen eine Ruhe verströmten, als läge man im Wald auf einer friedlichen Graslichtung.
    Karen lehnte sich vorsichtig gegen den Holzrahmen und blickte verträumt um sich. »Ist es hier nicht wunderschön?«
    Mansfield verzog unschlüssig das Gesicht. »Ein nettes Ambiente für den, der diesen alten Stil mag, aber die Holzbänke sehen verflixt unbequem aus. Kein Wunder, dass Fran ois Mitterrand eine neue Bibliothek bauen ließ. Für das 21. Jahrhundert ist das hier wirklich nicht mehr geeignet.«
    Karen betrachtete den Arbeitssaal mit den vielen Bänken und musste ihm innerlich Recht geben. »Schade, dass man nicht hineindarf. Die alten Regale und Wandgemälde hätte ich mir gern aus der Nähe angesehen.«
    »Warum fragen Sie nicht Ihren Freund, den Rektor der Sorbonne? Der könnte Ihnen sicher Einlass verschaffen.«
    Sie sah ihn warnend an.
    »War nur ein Scherz«, sagte er entschuldigend und belustigt zugleich. »Wollen Sie noch mehr sehen?«
    »Ja, den Eingang dort drüben zum Hof.«
    Sie gingen durch die Tür des Eingangs und befanden sich im Cour d’Honneur, einem großen Innenhof, der Karen sehr stark an die Sorbonne erinnerte. Rechts neben sich entdeckte Mansfield ein weißes Kunststoffschild an der Wand mit dem Grundriss der Bibliothek. Man konnte sehr gut erkennen, dass sie tatsächlich durch einen kleinen Nebeneingang in das Gebäude gekommen waren, während sich der Haupteingang vor ihnen an der westlichen Hofseite zur Rue de Richelieu befand. Karen wollte noch gern die oberen Stockwerke des Gebäudes besichtigen, und so gingen sie die Haupttreppe hinauf. Sie war unermüdlich. In jeden Raum, der sich ihr bot, musste sie hineinschauen, aber viele der alten Zimmer waren nicht für den Publikumsverkehr zugelassen. Schließlich gelangten sie wieder zur Haupttreppe, wo Karen einen kurzen Augenblick zögerte.
    Mansfield warf ihr einen belustigten Blick zu. »Haben Sie nun genug gesehen, oder soll ich die verschlossenen Türen aufbrechen?«
    Sie musste lachen. »Bin ich so schlimm?«
    »Schlimmer. Es muss doch sehr hart für Sie sein, nicht überall hineinschauen zu können, oder?«
    »Eigentlich bin ich sonst gar nicht so neugierig. Ich weiß selbst nicht, was mit mir los ist, doch diese alten Räume faszinieren mich irgendwie. Ich fühle mich hier wohl.«
    »Man sieht’s. Aber ich glaube wirklich, dass es hier keine weiteren Entdeckungen für Sie gibt und dass wir zur neuen Nationalbibliothek fahren sollten. Immerhin können wir jetzt sicher sein, dass die gesuchten Bücher dort sind und auf Sie warten.«
    Sie verließen die Bibliothek wieder durch den Nebeneingang und gingen langsam zur Börse zurück, als Karen plötzlich etwas auffiel.
    »Warum sind wir eigentlich nicht durch den Haupteingang in der Rue de Richelieu gegangen?«
    »Weil dies der kürzere Weg ist«, antwortete Mansfield lakonisch.
    »Und woher wussten Sie, dass dies der kürzere Weg ist?«
    »Ich kann Karten lesen.«
    »Natürlich. Aber woher wussten Sie überhaupt, dass es hier einen Eingang gibt?«
    Mansfield sah sie verwirrt an. »Das habe ich nicht gewusst. Sonst wären wir eben um das Gebäude herumgegangen und über die Rue de Richelieu gekommen. Wäre doch auch nicht schlimm gewesen, oder?«
    Sie sah ihn mit einem seltsamen Blick an. »Nein, natürlich nicht«, sagte sie und beließ es dabei.
    Sie fuhren nicht sofort zum Tolbiac, sondern erst zum Hotel, wo Mansfield etwas vergessen hatte. Dann nahmen sie den BMW und standen eine Stunde später vor dem monumentalen Kunstbau der BNM. Karen betrachtete widerwillig den bläulich schimmernden Glaspalast, der zwar ein Architektenherz höher schlagen ließ, aber ihre Literatenseele deprimierte.
    Mansfield wunderte sich. Sie befand sich kurz vor dem Ziel, gleich würde sie die Bücher des Professors in Händen halten und trotzdem schien sie nicht glücklich zu sein.
    »Gibt’s irgendein Problem?«
    Karen antwortete nicht sofort, sondern starrte nur gedankenverloren auf die Glasfront, auf deren Oberfläche sich der Himmel hart widerspiegelte.
    »Ich fand die alte Nationalbibliothek schöner«, sagte sie. »Sie hatte mehr Stil, mehr Atmosphäre.«
    Mansfield widersprach ihr. »Sie war zu klein und zu alt. Irgendwann muss man das Alte abhaken und sich dem Neuen zuwenden. Das ist nun mal

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