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Das weiße Amulett

Das weiße Amulett

Titel: Das weiße Amulett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathinka Wantula
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seinen arthritischen Händen immer noch den Hummelflug vorspielen konnte.«
    »Starke Leistung. Ich wäre froh, wenn ich überhaupt so alt werden würde.«
    Sie sah ihn mit einem Stirnrunzeln an. »Warum sollten Sie das nicht werden?«
    Er deutete mit der Messerspitze auf seine linke Schulter. »Habe hier zwei kleine Narben. Nette Andenken aus New York. Ein halbwüchsiger Crack-Dealer hat sich bei einer Razzia den Weg freigeschossen, und da ich gerne im Weg stehe, habe ich ein bisschen was abbekommen. Ist aber schon drei Jahre her und gut verheilt«, fügte er hinzu, als er ihr ernstes Gesicht sah, und lenkte das Gespräch wieder auf unverfänglichere Themen. Seine Mutter war gestorben, als er zehn Jahre alt war, doch sein Vater lebte noch und besaß einen TV-Nachrichtensender in New York, dessen Namen Karen noch nie gehört hatte und den sie sich wohl auch nicht merken würde.
    »Und warum sind Sie dann Polizist, wenn Ihr Vater so reich ist? Entschuldigung, wenn ich Sie das frage, aber wäre es nicht einfacher, wenn Sie in seinem Sender arbeiten würden?«
    Mansfield stützte sich mit den Ellbogen auf den Tisch und bildete mit seinen Fingerspitzen einen kleinen Schutzwall.
    »Eine Gegenfrage: Warum sind Sie keine feste Mitarbeiterin im Verlag Ihres Patenonkels?«
    Karen setzte sich ein wenig gerader hin. »Weil ich gern unabhängig bin.«
    »Ganz genau.«
    Beide tranken einen Schluck von ihrem Cappuccino, den sie sich nach dem Essen bestellt hatten, und sahen eine Weile schweigend auf die Straße, wo es inzwischen dunkel geworden war. Karen betrachtete versonnen eine alte gusseiserne Straßenlampe, die ihr sanftes Licht durch das vergilbte Milchglas schickte, als sie sich traute, die Frage zu stellen, die schon lange in ihrem Kopf herumschwirrte.
    »Wie haben Sie es erlebt, Michael? Ich meine, den 11. September?«
    Mansfields Gesicht wurde schlagartig ernst. »Einer meiner Freunde war im Südturm, als das zweite Flugzeug hineinflog.« Es entstand eine Pause, in der man nur die leise Geräuschkulisse der anderen Gäste hörte. Die kleine gelbliche Flamme der Kerze auf dem Tisch begann zu flackern. »Sein Büro war im 103. Stock.«
    Mansfield sah ebenfalls auf die alte Straßenlaterne, als sich Karens und sein Blick im Spiegelbild des Fensters trafen. Sie hatte das Gefühl, ihn anschauen zu müssen, und wandte den Kopf.
    »Wissen Sie, Karen, wir werden diesen Tag niemals vergessen. Aber wir New Yorker sind nicht unterzukriegen. Wir stehen immer wieder auf.«
    Sie nickte. »Und wenn Sie nicht in New York sind, machen Sie einen Abstecher nach Europa und verbringen Ihren Urlaub mit Frauen, denen Sie teure Geschenke machen?«
    Mansfield bemerkte, wie Karen die trübe Stimmung verjagen wollte, aber er hörte auch einen spöttischen Unterton heraus und musste grinsen.
    »Tja, das verlangt das Jetset-Leben von mir«, stöhnte er.
    Karen musste lachen. »Entschuldigung. Ich hoffe, ich habe Sie nicht beleidigt. Darf ich Sie wenigstens zu diesem Abendessen einladen?« Er hob eine Augenbraue, aber Karen sprach schnell weiter. »Keine Widerrede. Sie haben sich auch nicht von mir beirren lassen, als Sie heute all das Zeug für mich gekauft haben. Bitte lassen Sie mir wenigstens diese kleine Revanche.«
    Mansfield musste über das Wort Zeug für ein TausendEuro-Kleid von Dior schmunzeln. Außerdem waren die Einkäufe im La Fayette nicht nur reiner Altruismus, wie er sich insgeheim eingestehen musste.
    »Wie Sie wünschen, Madame.« Er machte eine angedeutete Verbeugung, und seine Augen funkelten belustigt. »Dann werde ich mein Glück völlig ungeniert ausnutzen und noch einen Drink bestellen, falls es Ihnen nichts ausmacht.«
    »Natürlich nicht«, erwiderte Karen mit gespielter Leichtigkeit, während sie in Gedanken nachrechnete, dass dieser Abend so viel kostete wie fünf Übernachtungen in ihrem kleinen Hotel. Aber es war ihr egal. Julius würde das verstehen.

9
    Am nächsten Morgen fragte Mansfield Karen, wo sie nach weiteren Unterlagen des Professors suchen wolle.
    »Ich muss zur Nationalbibliothek. Dort wird jedes Buch aufbewahrt, das in Frankreich veröffentlicht wurde. Also werden sie auch die von Prof. Bernhardt haben.«
    Mansfield stimmte ihr zu. »Gute Idee. Das Gebäude soll ja eine außergewöhnliche Architektur haben.«
    Plötzlich zögerte Karen. Mansfield bemerkte es und drehte sich zu ihr um. »Was ist?«
    Sie sah ihn mit einem Stirnrunzeln an. »Ich überlege gerade, ob sich die Bücher in der alten

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