Das weiße Amulett
dann auch noch zu einigen Unregelmäßigkeiten und mehreren verpatzten Razzien kam, folgte die Hausdurchsuchung. Danach wurde Mansfield vorläufig vom Dienst suspendiert. Na, das hätte man wohl früher tun sollen«, fügte Laurent grollend hinzu und drehte sich zu Durel um. »Jetzt ist der Kerl in Paris und trifft sich mit Vincent Bouvier. Was für eine Unverfrorenheit! Aber mit ein bisschen Glück führt er uns zu Lucass.« Laurents Augen begannen zu leuchten. »Das wäre kein schlechter Fang. Jemand soll sich an Mansfields Fersen hängen. Ich will, dass er observiert wird.«
»Ein Kindermädchen? Aber wir haben kaum Leute«, entgegnete Durel, als er in Gedanken die Kollegen durchging, die eventuell für eine Observierung zur Verfügung standen.
»Keine Widerrede.« Laurent griff nach den Aufnahmen aus der Wohnung des Seminarleiters und vertiefte sich nochmals in die Beweismittel. Vielleicht hatten sie irgendein kleines Detail übersehen? Er blickte auf die Fotos, die ein völlig durchwühltes Wohnzimmer zeigten.
»Irgendetwas hat der Mörder gesucht.«
»Geld?«, schlug Durel vor und sah von einem Foto zum anderen.
Laurent schüttelte den Kopf. »Tanvier war nicht vermögend.«
Durel versuchte in dem Durcheinander, das die Bilder zeigten, eine Spur zu erkennen. »Ob er das, was er suchte wohl gefunden hat?«
»Auf jeden Fall nicht mit Hilfe von Monsieur Tanvier.«
»Nein, der Alte hat anscheinend nichts gesagt. Armer Kerl.«
Laurent nickte. Kurz darauf entdeckte er im Hintergrund eines der Fotos einen jungen Mann in greller Rad-fahrer-Montur, der neben zwei Ermittlungsbeamten stand. Ein Fahrradkurier, der ein Päckchen bei Monsieur Tanvier abgeben sollte, hatte die Leiche entdeckt und sofort die Polizei gerufen.
»Was ist das für ein Bote, der Tanvier gefunden hat?« Er hielt Durel das Foto hin.
»Ein gewisser Thierry Boccar. Wir haben ihn überprüft, aber es liegt nichts gegen ihn vor.«
Ein braunes Päckchen, das der Bote auf dem Foto in der linken Hand hielt, erregte Laurents Aufmerksamkeit.
»Wo ist das Päckchen, das der Junge Tanvier bringen sollte? Hat sich das schon jemand angeguckt?«
»Ja, sicher. Es liegt dort drüben.« Durel deutete auf ein DIN A4 großes Päckchen, das in einer durchsichtigen Plastiktüte steckte. »Es handelt sich um eine Sendung aus dem Lager des Kriminalmuseums, die Monsieur Tanvier am vergangenen Montag angefordert hatte.
»Wurde es schon untersucht?«
Durel nickte. »Es sind haufenweise Fingerabdrücke von Leuten drauf, die wir nicht kennen.«
»Das war wohl zu erwarten.« Laurent griff nach der Tüte. »Was ist drin?« Er holte das Päckchen aus der Plastikfolie.
»Ein altes Notizbuch«, antwortete Durel, während Laurent das kleine Buch aus der Verpackung nahm und es mit aufkommender Unruhe betrachtete. Verdammt, er hatte dieses Buch schon mal gesehen. Vor über dreißig Jahren.
»Das Tagebuch von Bernardts Assistenten!«, stieß er hervor und erinnerte sich daran, wie es damals auf Tanviers Pult gelegen hatte, als sie kurz den alten Bernhardt-Fall durchgegangen waren. Tanvier hatte auch einige Seiten daraus vorgelesen. Laurent lief es kalt den Rücken hinunter, als er jetzt das Tagebuch in Händen hielt. Ein Buch, das seinem Seminarleiter wahrscheinlich das Leben gekostet hat. Ein gefährliches Buch.
»Welcher Bernhardt?«, unterbrach Durel seine Gedanken.
»Dieses Buch ist hundert Jahre alt, René. Es wurde von einem Menschen geschrieben, der damals beschuldigt wurde, etwas mit dem Verschwinden eines gewissen Prof. Bernhardt zu tun zu haben.«
»Zu Recht?«
»Das weiß keiner. Auf jeden Fall konnte das Verschwinden des Professors nie geklärt werden.« Er sah seinen jungen Kollegen an. »Und jetzt rat doch mal, wer sich für dieses Buch interessieren wird.«
Durel hob eine Augenbraue. »Der Amerikaner?«
»Der vielleicht auch, aber in erster Linie Madame Alexandre.«
»Ist sie deswegen in Paris? Wegen dieses Buches?«
»Sie soll eine Monographie über den verschwundenen Professor schreiben und könnte dieses Buch sicher gut gebrauchen.«
Durel machte ein zweifelndes Gesicht. »So sehr, dass sie dafür morden würde?«
»Ich weiß nicht. Jedenfalls hat irgendjemand gewusst, dass sich das Buch bei Tanvier befinden könnte. Und er hat es dort gesucht.«
»Dann hat er sein Ziel um ungefähr eine Viertelstunde verpasst.«
»Richtig. Das wird ihn sicherlich mächtig ärgern.«
Durel sah ein gefährliches Glitzern in Laurents Augen. »Was hast du
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