Das weiße Amulett
sein. Und jetzt fliegt sie mit ihm auch noch nach Ägypten. Erklär’s mir, René. Du bist jünger als ich.«
Doch Durel zuckte nur mit den Schultern. »Ich habe nicht die geringste Ahnung. Das ist jedenfalls nicht mehr unser Problem. Sie muss selber sehen, wie sie mit Mansfield zurechtkommt, Jean-Philippe. Lass sie.«
29
Kairo
Die Sonne war bereits am Horizont verschwunden, und Dunkelheit senkte sich wie ein schwerer Schleier über die Stadt, als Karen und Mansfield auf dem Flugplatz Kairo-Heliopolis eintrafen. Für Karen war das schwindende Tageslicht eine große Enttäuschung, da der Zauber Ägyptens in einer blauschwarzen Nacht verschwand und Kairo sich vor ihr versteckte.
»Morgen früh werden wir dafür eine großartige Aussicht auf die Kairoer Skyline haben«, versprach Mansfield, als sie ihre Koffer in einer Suite im zwanzigsten Stock des Ramses Hilton auspackten. »Das Restaurant in den oberen Stockwerken ist berühmt dafür.«
»Sicher«, seufzte Karen. Sie schaute auf das künstliche Licht der Straßenlaternen hinunter, das sich silbern im lapislazuliblauen Wasser widerspiegelte. Ein sehnsüchtiger Blick ging nach Süden, wo der Nil tausende Kilometer entfernt seine Quellen, seinen Ursprung, hatte.
Der heilige Nil, dachte Karen und lehnte sich gegen die Mauer am Fenster.
Angekommen.
Am nächsten Morgen stand Karen wieder am Fenster und sah auf den sonnenbeschienenen minarettförmigen Nil-Tower und auf die Hochhäuser der Nilinsel Gezihra. Im Süden konnte man bei gutem Wetter die großen Pyramiden von Gizeh sehen, doch an diesem frühen Septembermorgen lagen die alten Schätze der Pharaonen in einem braunen Dunstschimmer, der sich nur schwerfällig verzog. Neben dem Hotel wälzte sich der Morgenverkehr über die vierspurige Straße einer Brücke. Alte Kleinbusse, Autos und Mopeds, die mehr nach Auge und Gefühl als nach Straßenregeln gefahren wurden, brausten mit orientalischer Hektik über die Brücke.
Kairo – Al Qahira, die Siegreiche – war erwacht.
Falls sie jemals zur Ruhe kommt, dachte Karen und blickte auf den Nil, der im Morgenlicht saphirblau schimmerte. Er schien die Hektik der Stadt mit seinen sanften Fluten beruhigen zu wollen und zauberte ein Lächeln auf Karens Gesicht. Aber nur für Sekunden. Dann erinnerte sie sich an das Telefonat mit einem Angestellten der Ägyptischen Altertümerverwaltung, der eine schlechte Nachricht für sie hatte.
»Fathi Hamza ist nicht in Kairo«, sagte Karen.
Mansfield, der hinter ihr in einem Sessel saß und in der New York Times blätterte, fragte: »Wer ist Fathi Hamza?«
»Der Chef der Ägyptischen Altertümerverwaltung, ohne dessen Erlaubnis kein Archäologe auch nur ein Sandkorn umdrehen darf.« Sie sah nach Süden, dorthin, wo die heiligen Stätten der Pharaonen lagen: Abydos, Dendera, Luxor, das alte Theben, Weset …
Mansfield sah ein rundliches, verschwitztes Gesicht vor sich. »Stimmt, ich erinnere mich an ihn. Er ist immer im Fernsehen, wenn es um ägyptische Altertümer geht. Was wollen Sie denn von ihm?«
»Ich brauche seine Unterschrift in meinen Papieren für die Sorbonne. Außerdem habe ich einen Brief von Monsieur Artois, den ich ihm geben soll.«
Mansfield runzelte die Stirn. »Warum geben Sie ihn nicht einfach in seinem Büro ab?«
»Weil Monsieur Artois mich gebeten hat, ihn persönlich zu überbringen.«
»Wo ist Hamza denn hingereist?«
»In die Bahariya-Oase. Sein Mitarbeiter sagte, dass er wahrscheinlich erst in einer Woche wiederkommt.«
»Na, das ist doch eine gute Gelegenheit, um ein bisschen Kairo kennen zu lernen«, meinte Mansfield, doch auf Karens Stirn bildeten sich schmale Sorgenfalten.
»Bitte nehmen Sie es mir nicht übel, Michael, aber Kairo interessiert mich nicht im Geringsten. Ich möchte viel lieber nach Luxor, zum Tal der Könige und zu diesem amerikanischen Archäologen.«
Mansfield sah sie mit einem leisen Lächeln an, dann griff er zum Telefon. »Okay, wir nehmen einen Mietwagen.«
Karens Sorgenfalten verschwanden sofort. »Wir fahren Hamza nach?«
»Oder kann man nach Bahariya fliegen?«
»Ich glaube nicht.«
»Gut, dann fahren wir«, erklärte Mansfield und ließ sich vom Empfangschef einen Mietwagen vermitteln, während er gleichzeitig überlegte, wie weit die Oase Bahariya von Siwa entfernt lag, wo Alexander der Große vor zweitausenddreihundert Jahren das Amun-Orakel befragte. Vielleicht konnte man einen Abstecher dorthin machen?
Der Mietwagen erwies sich als altersschwacher Toyota
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