Das weiße Amulett
den Fußboden fallen lassen. Es muss dieses ungewöhnliche …l in der Phiole gewesen sein, sonst hätte Bernhardt nicht so überreagiert. Sie kannten sich schon seit Jahren. Nie war etwas vorgekommen, das den Professor so fassungslos gemacht hatte. Er wusste, dass es die letzten Tropfen gewesen waren und die letzte Chance, über das …l mehr zu erfahren.«
»Aber Bernhardt hat seinen Assistenten nicht eingeweiht, sonst hätte er es bestimmt in seinem Notizbuch vermerkt.«
Vielleicht hat Lescot etwas notiert, und es ist mir entgangen, überlegte Karen und nahm sich vor, die Eintragungen noch mal sorgfältig zu lesen. Aber als Erstes werde ich Julius anrufen.
Mansfield sah, wie Karen in ihre Jackentasche griff und ihr Handy rausholte. Nur zu leicht konnte er sich vorstellen, wen sie nun sprechen wollte, und auch er war gespannt, was ihr Patenonkel in Hamburg sagen würde. Leider wurde das Gespräch auf Deutsch geführt. Er musste sich also ein wenig gedulden.
»Julius? Hier ist Karen.«
»Hallo, Karen, meine Liebe. Na, wie geht es dir?«
»Gut. Sag mal, hat Monsieur Artois in den vergangenen Tagen bei dir angerufen?«
Julius hörte eine gewisse Anspannung in ihrer Stimme.
»Ja. Gestern Nachmittag, um genau zu sein. Warum fragst du?«
»Weil er will, dass ich nach Ägypten fahre und du das angeblich befürwortest.«
»Natürlich bin ich dafür. Wer hat mir denn immer in den Ohren gelegen und gebettelt, dass er nach Ägypten reisen wolle, um eine Monographie über Ramses II. schreiben zu können? Nicht dass es schon hunderttausend Biografien über diesen Pharao gibt und ich mich einfach weigere, populistische Bücher in mein Verlagsprogramm aufzunehmen …«
Karen unterbrach ihn ungeduldig. »Vergiss Ramses, Julius. Eine Reise nach Ägypten würde aber meine Arbeit über Bernhardt unterbrechen.«
»Glaubst du? Wie weit bist du denn mit deinen Nachforschungen? Étienne erzählte mir von deinem heutigen Termin beim Kurator der Ägyptischen Abteilung des Louvre. War es hilfreich für das Bernhardt-Buch?«
»Vielleicht schon. Aber was hat das mit der Reise zu tun?«
Julius hielt für einen kurzen Augenblick inne. »Man hat dir doch auch gesagt, dass man das Grab wieder entdeckt hat, aus dem wahrscheinlich das Amulett des Professors stammt?«
Karen war fassungslos. »Woher weißt du von dem Amulett?«
»Étienne hat mir davon erzählt. Interessiert dich dieses neue Grab als Ägypten-Liebhaberin denn überhaupt nicht?«, fuhr Julius unbeirrt fort.
»Natürlich! Es reizt mich ungemein, dieses Grab zu sehen, aber ich hätte wegen deines Bernhardt-Auftrags ein schlechtes Gewissen.«
»Dazu gibt es keinen Grund, glaube mir. Bernhardt kann warten. Fahr ruhig nach Ägypten und erhol dich dort ein bisschen an den Ufern des Nils. Das wird dir gut tun.«
Vor Karens innerem Auge stand plötzlich das Bild eines blauen Flusses mit grünen Ufern und rotfarbenen Felsklippen im Hintergrund – ein Bild, das oft in ihrem Kopf herumspukte.
»Es macht dir also wirklich nichts aus, wenn ich nach Ägypten fahre?«
Julius seufzte. »Nein, Karen. Du wirst ja nur einige Tage oder höchstens eine Woche weg sein. Das wird deiner Monographie nicht schaden.«
Karen war überredet, zumal ihr der Gedanke, nach Ägypten zu reisen, immer mehr Freude bereitete – der Fluss, die Tempel, das Tal der Könige …
»Also gut, ich mach’s«, erklärte sie. »Wer trägt die Kosten?«
»Mach dir deswegen keine Gedanken. Darum kümmert sich Étienne.«
»Wann geht’s los?«, fragte sie.
»Morgen Nachmittag. Der Flug ist gebucht, und das Ticket müsste bereits im Reisebüro neben dem La Fayette hinterlegt sein.«
Ihr blieb für einen Augenblick die Luft weg. »Ihr habt den Flug schon gebucht? Woher … Julius! Wie konntest du nur so sicher sein?«
»Ich kenne dich seit deiner Geburt, meine Liebe. Ich wusste, dass du dieser Verlockung nicht würdest widerstehen können.«
»Ich kann so mancher Verlockung widerstehen«, gab sie zurück.
»Ja, aber nicht dieser. Falls es Probleme geben sollte, ruf mich an, oder Monsieur Escard. Also, bon voyage, meine Liebe. Grüß den Nil von mir.«
Karen ließ das Handy langsam in ihre Jackentasche gleiten, während Mansfield abwartend neben ihr stand.
»Na, was hat er gesagt?«
»Er will tatsächlich, dass ich nach Ägypten reise.«
»Das war zu erwarten, schließlich ist Monsieur Escard kein Lügner.«
»Nein«, sagte sie nachdenklich. »Sicher nicht.«
»Hat Ihr Patenonkel gesagt, warum Sie
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