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Das weiße Amulett

Das weiße Amulett

Titel: Das weiße Amulett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathinka Wantula
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Blick seiner dunklen Augen erfasste er Karens Situation und fragte den anderen Mann etwas in scharfem Ton, der ihm feindselig antwortete. Doch der Mann in der weißen Galabiya brachte den Älteren mit einer harschen Bemerkung zum Schweigen, wandte sich dann um und verließ den Raum. Der Alte warf Karen noch schnell einen bösen Blick zu, ehe er dem anderen Ägypter folgte und Karen in ihrer Verzweiflung zurückließ.
    Am nächsten Tag drangen viele Freudenrufe und Musik aus einem anderen Haus zu ihr herüber. Karen wunderte sich, wie man so fröhlich und ausgelassen feiern konnte, wenn man gerade einen Menschen getötet hatte, aber wahrscheinlich wussten nicht alle im Dorf von ihrer Anwesenheit und was mit Michael geschehen war.
    Es mochte zur Mittagszeit sein, als zwei Frauen in schwarzen Galabiyas hereinkamen und ihr Bohnen, Fladenbrot und Wasser brachten. Karen fragte sie etwas auf Englisch und Französisch, aber die Frauen antworteten nicht und verschwanden wieder.
    Deprimiert griff sie nach dem Becher, goss das kühle Wasser hinein und leerte ihn in einem Zug. Als Nächstes schüttete sie sich ein wenig Wasser in die Hand und fuhr sich damit über das verschwitzte Gesicht. Vielleicht war es ein Fehler, das wertvolle Wasser für diese Erfrischung zu nehmen, aber es war ihr egal.
    Die Schüssel mit dem Bohnengemisch schob sie angewidert beiseite. Sie hatte keinen Hunger. Ihr Magen war wie zugeschnürt. Nicht einmal ein Stück Fladenbrot kriegte sie hinunter. Die Erinnerung an Michaels blutüberströmte Leiche und wie man ihn in eine Felsspalte warf verursachte ihr Übelkeit. Ihre Situation war beinahe hoffnungslos. Zwar wusste man im Hotel, dass sie einen Wagen gemietet hatten, um nach Bahariya zu fahren, aber würde man sie hier auch finden? Was wollten diese Menschen von ihr? Wenn es um Geld ging, hatten sie eindeutig die falsche Geisel getötet. Aber woher sollten sie das wissen? Michael hatte sich gewehrt. Vielleicht war ihm das zum Verhängnis geworden.
    Karen saß auf einem alten zerrissenen Teppich und krümmte sich schluchzend bei den Gedanken an die letzten Stunden. Es war alles ihre Schuld. Warum hatten sie nicht in Kairo auf Hamza gewartet? Warum waren sie zu dieser verdammten Oase gefahren? Weil sie, Karen, so schnell wie möglich Hamzas Unterschrift wollte, um nach Luxor zu kommen. Es war ihre Ungeduld, die Michael das Leben gekostet hatte. Das würde sie sich niemals verzeihen.
    Müde sank sie auf dem Teppich zusammen und fiel in einen schweren Schlaf, während draußen unermüdlich fröhliche Musik und ausgelassene Rufe erschallten.
    Die Hochzeit ging ihrem Höhepunkt entgegen.
    Es war Nacht, alles dunkel um sie herum, es war unheimlich. Sie schlich um die verlassene Häuserfassade und warf einen besorgten Blick über die Schulter. Irgendetwas stimmte nicht. Jemand verfolgte sie. Karen wollte davonlaufen, aber sie konnte nicht. Ein stechender Schmerz in der Hüfte ließ sie taumelnd auf die Straße fallen. Plötzlich stand Michael mit einem goldenen Dolch über ihr. Sein blutiges Gesicht war hassverzerrt – ein dunkler Dämon, der sie mit seiner Rache verfolgte.
    »Du bist schuld! Du bist schuld!«, schrie er und stieß die Klinge erbarmungslos in ihr Herz.
    Im selben Moment zuckte Karen zusammen und rettete sich aus dem Albtraum. Immer noch am ganzen Körper zitternd, bemerkte sie, dass sie sich nicht in einer dunklen Gasse, sondern in einem Ziegenstall irgendwo in Ägypten befand. Michael hatte versucht sie zu töten. Vielleicht sogar mit Recht, dachte Karen traurig und fuhr sich über die feuchte Stirn. Wahrscheinlich würde er sie für immer in ihren Träumen verfolgen.
    Unglücklich starrte sie auf ihren linken Ellbogen, wo sich ein blauer Fleck ankündigte. Michael hatte sie dort gestern gepackt, um ihr seinen Willen aufzuzwingen, und jetzt wünschte sie sich nichts sehnlicher, als dass sie auf ihn gehört hätte. Tränen schossen ihr in die Augen. Sie spürte immer noch Michaels festen Griff.
    Nichts würde mehr so sein, wie es war. Egal, was passierte.
    Spät in der Nacht schreckte Karen von dem Geräusch der knarrenden Holztür hoch. Die beiden Männer von gestern Abend traten mit ernsten Mienen ins Zimmer. Unbewusst kroch sie rückwärts, doch das Seil hielt sie auf. Ihr Herz schlug bis zum Hals. Was wollten die Männer mitten in der Nacht von ihr? Würden sie sie an einen anderen Ort verschleppen? Hatte Julius sie bereits als vermisst gemeldet und war die ägyptische Polizei ihren

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