Das weiße Grab
folgte ihm dann in den Park. Schon nach wenigen Metern wurde der Lärm der Stadt immer leiser, bis er nur noch ein Hintergrundrauschen darstellte. Die Comtesse hakte sich bei Konrad Simonsen unter, als legitimierte die plötzliche Ruhe auch die Intimität.
»Es ist schön hier, findest du nicht auch?«, sagte sie. »All die Blumen, fast wie im Süden, und alles ist so wunderbar gepflegt.«
»Ja, stimmt, das ist ein schöner Ort.«
Konrad Simonsens Kenntnisse in Feldbiologie beschränkten sich auf Butterblumen und einige wenige ähnliche, nicht schwer zu erkennende Pflanzen. Er blieb stehen und kratzte sich erst an dem einen, dann am anderen Knöchel.
»Ich muss dich mal etwas fragen, Konrad. Diese hellsichtige Frau in Høje Taastrup, die du ab und zu um Hilfe bittest, wie oft hat sie eigentlich recht mit ihren Weissagungen, wenn ich das überhaupt so sagen kann?«
»Warum willst du das wissen?«
»Tja, ganz allgemeines Interesse.«
»Manchmal trifft sie genau ins Schwarze, doch meistens sind ihre Angaben unbrauchbar. Aber frag mich bloß nicht, wie sie das macht, ich habe es längst aufgegeben, eine Antwort auf diese Frage zu finden.«
»Aber manchmal ist sie eine gute Hilfe?«
»Wie gesagt, ja.«
»Kannst du mir nicht mal ein Beispiel nennen?«
»Ich hatte vor einigen Jahren mal einen Fall, bei dem ein Verrückter einen dünnen Draht quer über die Fußgängerzone in einer kleineren Provinzstadt gespannt hatte. Er wollte damit ein für alle Mal ein paar lokale Jugendliche zur Strecke bringen, die samstagnachts immer auf ihren Mofas durch die Stadt knatterten und den Menschen den Schlaf raubten. Zum Glück hatte der Erste den Kopf in guter Rennfahrermanier nach vorne gebeugt, so dass er den Draht mit der Stirn erwischte. Er stürzte natürlich und holte sich ein paar hässliche Beulen. Der hinter ihm war weniger gut dran, denn der kriegte das Ende des gerissenen Drahtes ins Auge.«
»Oh Gott.«
»Ja, das war wirklich abscheulich. Aber es hätte viel schlimmer kommen können. Wenn sie normal gefahren wären, wären sie vermutlich beide geköpft worden, was auch die Absicht der ganzen Aktion gewesen war. Damals stand mir meine hellsichtige Frau aus Høje Taastrup, wie du sie nennst, zur Seite. Sie nannte mir einen ziemlich seltenen Namen. Später stellte sich heraus, dass das der Name eines Baumarktbesitzers war. Der Laden des Mannes lag mehrere hundert Kilometer von der Stadt entfernt, aber dort hatte der Schuldige tatsächlich den Draht gekauft. Der Täter war übrigens ein 78 -jähriger Mann, der den Lärm gründlich leid war. Jetzt bist aber du dran, Comtesse, woher kommt dieses plötzliche Interesse an hellseherischen Fähigkeiten? Raus damit!«
Sie erzählte ihm von ihrem kurzen, hektischen Telefonat und spürte, wie sehr es sie erleichterte, sich das endlich von der Seele zu reden. Er ging ein Stück weiter, ohne ihre Worte zu kommentieren, sagte dann aber: »Ja, wenn die Pferde mit ihr durchgehen, kann sie schon ein bisschen manisch sein. Also, da wären wir.«
Vor ihnen erhob sich das Palmenhaus, die Scheiben glänzten in der diesigen Sonne. Die Comtesse hielt vergebens nach ihrem Orakel Ausschau, bis sich hinter ihnen eine wohlbekannte Stimme meldete und sie sich umdrehten. Hinter ihnen auf der Wiese saß Helmer Hammer im Schatten einer Sommermagnolie.
Der Staatssekretär hatte Jacke und Schlips abgelegt und ordentlich zusammengefaltet und Schuhe und Strümpfe ausgezogen. Seine weißen Füße bildeten einen deutlichen Kontrast zu der messerscharfen Bügelfalte der Cerruti-Hose, so dass die Begegnung alles andere als formell wirkte. Er lächelte gewinnend, als die Comtesse und Konrad Simonsen sich zu ihm setzten, fragte nach dem Stand der Ermittlungen und erkundigte sich auch nach ihrer persönlichen Beziehung. Es dauerte nicht lange, und sie redeten angeregt miteinander über alle möglichen Themen. Es war eine von Helmer Hammers besonderen Vorzügen, dass sich die Menschen in seiner Gesellschaft entspannten. Vermutlich hatte er das seiner Fähigkeit zu verdanken, immer so zu wirken, als hätte er für seine Gesprächspartner alle Zeit der Welt. In dieser Stimmung wirkte er ganz und gar nicht wie jemand, der komplexe Probleme zu lösen hatte und komplizierte Gedanken wälzte, sondern eher wie der offene und ehrliche Kumpel von nebenan, den man gerne zum Freund hatte.
Die Comtesse folgte seinem Vorbild und zog sich die Schuhe aus. Helmer Hammer teilte gut gekühlte Wasserflaschen aus, die er
Weitere Kostenlose Bücher