Das weiße Grab
gesagt?«, fragte Poul Troulsen.
»Weil ich nicht eher daraufgekommen bin«, antwortete die Comtesse offen.
Die drei anderen sahen Konrad Simonsen an. Er folgerte: »Wir sollten Melsing auf jeden Fall fragen. Ruf ihn an, Comtesse. Hol ihn an den Apparat, wo auch immer er sein mag. Poul, du findest heraus, wo diese Tüte ist. Und sorg dafür, dass sie uns ausgehändigt werden kann, wenn wir sie heute Abend brauchen.«
Eine Viertelstunde später kam die Comtesse mit guten Neuigkeiten von Melsing zurück: »Alles in allem gibt es gute Chancen, die Tüte mit der Büste in Verbindung zu bringen. Melsing hatte selbst ein paar weitere Ideen, die ich nicht ganz verstanden habe. Er und seine Abteilung sind bereit loszulegen, sobald sie beide Objekte haben. Das Problem ist die Zeit. Vierundzwanzig Stunden reichen bei weitem nicht aus für diese Art von Untersuchungen. Eine Woche ist deutlich realistischer, und das auch nur, wenn sie rund um die Uhr arbeiten, aber …«
Sie lächelte. Konrad Simonsen und Pauline Berg hingen gespannt an ihren Lippen.
»Sollten sie im Inneren der Tüte Spuren von Gips finden, wäre Melsing bereit, seine Schlussfolgerungen für das Gericht ein wenig über die Realität hinaus zu frisieren. Und das würde uns dann unter Garantie die Woche verschaffen, die wir benötigen.«
Konrad Simonsen schlug mit der Faust auf den Tisch und sagte:
»Yes!«
Dann fügte er hinzu: »Dann ist also doch noch ein Wunder geschehen!«
Das Wunder währte fünf Minuten. Dann kam Poul Troulsen zurück, und der Frust schien ihm förmlich aus jeder Pore zu strömen.
»Die Tüte gibt es nicht mehr. Die ist zerstört worden. Ich habe mit der Polizei in Næstvedt gesprochen. Da der Fall als aufgeklärt galt, haben sie 2002 , als sie die neuen Lokalitäten bezogen haben …«
Konrad Simonsen fiel ihm ins Wort: »Es ist mir egal, wer wann wo umgezogen ist. Ist es sicher, dass sie nicht mehr da ist?«
»Ja, leider.«
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40
A ber jemand muss ihn doch aufhalten können.«
Jeanette Hvidts braune Augen funkelten vor Wut, aber in den Ausbruch des Mädchens mischte sich auch Angst. Pauline Berg antwortete ihr nicht, sie wusste nicht, was sie sagen sollte. Jeanette Hvidt wiederholte den Satz fast wortwörtlich noch einmal, dieses Mal klang ihre Stimme schrill.
»Jemand muss diesen verrückten Psychopathen doch aufhalten können.«
Die zwei Frauen saßen auf einer Wiese mit Blick auf den Isefjord, von dem ihnen ein frischer Wind entgegenwehte. Pauline Berg schmeckte das Salz auf der Zunge und fragte sich, ob sie sich das alles nur einbildete. Die Schatten wurden lang, der Spätsommertag ging zu Ende. Etwas von ihnen entfernt, außer Hörweite, saß eine Gruppe junger Menschen und trank Bier. Es waren Jeanette Hvidts Klassenkameraden aus dem Frederiksborg-Gymnasium in Hillerød, die geduldig auf sie warteten. Die Gruppe war auf dem Weg zu einer Party gewesen, als Pauline Berg sie fand, und es war ihr nur mit Mühe gelungen, mit ihrer Zeugin für einen Moment alleine zu sprechen. Ein junger Mann sah zu ihnen herüber, als Jeanette Hvidt wild mit den Händen gestikulierte, aber was sie sagte, konnte er sicher nicht hören. Der Wind erstickte ihre Worte. Pauline Berg bemerkte, dass er trotz seines jugendlichen Alters groß und stark aussah. So einen Mann konnte das Mädchen jetzt wirklich gebrauchen – sollten all die Vorsichtsmaßnahmen nötig werden.
»Wie sieht es mit Männern aus, haben Sie einen Freund?«
Pauline Berg machte eine Kopfbewegung in Richtung der Gruppe.
»Nennen Sie die Männer? Außerdem, was geht Sie das denn an?«
»Jetzt hören Sie aber auf, Jeanette. Ich bin nicht an einem Freitagabend zu Ihnen gefahren, um Sie zu ärgern, und das wissen Sie ganz genau. Wenn es Ihnen Freude macht, sage ich Ihnen gerne, dass auch ich heute Abend eine Verabredung hatte, die ich absagen musste, obwohl ich mich seit Tagen darauf gefreut habe. Es gibt im Leben manchmal Dinge, die einfach wichtiger sind als andere, und im Augenblick sind Sie wichtiger als mein Date. So sieht das mein Chef, und so sehe ich das auch.«
Das Mädchen dachte nach und sagte: »Ihr Chef heißt Simonsen, aber Sie nennen ihn Konrad, nicht wahr?«
»Ja, das stimmt.«
»Ist er ein guter Chef?«
»Er kann manchmal etwas barsch sein, aber … ja, ich denke, alles in allem ist er ein guter Chef.«
»Ich bin ihm mal begegnet, wissen Sie das?«
»Ja, das weiß ich.«
»Ich mochte ihn, er war zu meiner Großmutter echt süß, hatte so eine
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