Das weiße Grab
nachsehen könnten.«
Er stand ohne sonderliche Eile auf und verließ das Wohnzimmer, kurz darauf hörten sie ihn auf dem Dachboden herumkramen. Das Taschentuch hatte er auf dem Stuhl liegenlassen. Konrad Simonsen blickte auf die Standuhr an der Wand zum Garten. Sie war wie der Mann stehengeblieben, ja der ganze Ort schien nach dem Abend im Oktober vor acht Jahren, an dem Annie Lindberg Hansson nicht nach Hause gekommen ist, in der Zeit erstarrt zu sein. Poul Troulsen musterte schwitzend die Fotos.
Nach einer Weile kam der Mann mit einem Brief zurück. Es war die Einladung zu einem Vorstellungsgespräch, datiert am Freitag, den 14 . April 1990 . Der Brief war kurz und bestand aus nur zwei Zeilen, samt Andreas Falkenborgs Unterschrift in Schönschrift. Konrad Simonsen faltete den Brief zusammen und steckte ihn in seine Innentasche, ohne sich Gedanken über mögliche Fingerabdrücke zu machen. Wer den Brief abgeschickt hatte, war ja ohnehin klar.
»Ich würde diesen Brief gerne genauer untersuchen, das ist doch in Ordnung für Sie, oder?«
Der Mann ballte die Hände zu Fäusten und flüsterte: »Ist es der? Hat der sie umgebracht?«
»Das wissen wir nicht.«
»Aber Sie glauben das. Das sehe ich Ihnen doch an. Sie glauben, dass der es war.«
Konrad Simonsen war nicht wohl in seiner Haut, als er zu erklären versuchte: »Wenn es um so etwas Ultimatives wie Mord geht, dürfen wir es uns nicht erlauben, etwas zu glauben. Da braucht es mehr, viel mehr.«
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13
A rne Pedersen und Pauline Berg machten nach zwei Befragungen, die zusammen nicht länger als fünf Minuten gedauert hatten und ergebnislos verlaufen waren, einen Spaziergang durch den sommerlichen Wald. Andreas Falkenborgs Ferienhaus erwies sich als eine bescheidene Kate, die auf der einen Seite an den Wald grenzte, durch den sie gerade liefen, auf der anderen Seite war ein Hof, dessen Felder das Haus auf drei Seiten umgaben. Das Haus war seit 1991 an ein kinderloses Ehepaar, beide Pädagogen, vermietet. Sie hatten die Frau zu Hause angetroffen, sie hatte über ihren Vermieter aber nichts sagen können, da sie ihn nie getroffen hatte, und auch ihr Mann sei ihm nie begegnet, meinte sie. Die sehr günstige Miete, die seit ihrem Einzug nicht mehr erhöht worden war, zahlten sie über ein Anwaltsbüro in Præstø. Mehr hatte sie nicht aussagen können, so dass die beiden Polizisten unverrichteter Dinge wieder gehen mussten. Ein ähnlich ernüchterndes Resultat hatte das Gespräch mit dem Nachbarn ergeben, den sie auf dem Platz vor seinem Hof bei der Reparatur seines Treckers angetroffen hatten. Auch er kannte Andreas Falkenborg nicht, meinte aber, dass seine Eltern Kontakt mit ihm gehabt hätten, ohne diese Aussage aber weiter vertiefen zu können. Leider war sein Vater gerade zu Bett gegangen und seine Mutter in die Stadt gefahren. Auch ein beherzter Versuch von Pauline, ihn dazu zu bewegen, seinen Vater zu wecken, hatte keinen Effekt gehabt, dafür durften sie aber gerne in einer Stunde wiederkommen.
Arne Pedersen kickte einen Stein vom Waldweg, der in einem schönen Bogen zwischen die Buchen flog. Er wollte seinen Erfolg mit einem weiteren Stein krönen, versagte dieses Mal aber kläglich. Pauline Berg, die ein paar Schritte vor ihm posierte und sich vorstellte, wie er sie von Kopf bis Fuß musterte, wurde brutal aus ihren Illusionen gerissen.
»Kannst du damit nicht aufhören, das nervt.«
Er antwortete nicht, schloss aber gehorsam zu ihr auf, und sie gingen Seite an Seite zurück zum Hof, wobei sie beide darauf zu achten schienen, sich nicht zu berühren. Trotzdem fragte sie: »Was ist eigentlich mit uns los?«
Sie spürte sofort, dass er erstarrte, und kam ihm bewusst zuvor: »Okay, ich weiß schon, was du sagen würdest, wenn du denn den Mut dazu hättest. Deine Kinder zählen mehr als ich.«
»Ja.«
»Eigentlich ist mir das ja klar. Überhaupt ist das total merkwürdig, denn ich weiß nicht einmal, ob ich dich wirklich will. Es widerstrebt mir nur so, abgewiesen zu werden. Verstehst du das?«
»Ja, das verstehe ich.«
»Aber so ist es, oder? Wie beim letzten Mal?«
»Ja, so ist es.«
Sie fühlte sich irgendwie nackt und verschanzte sich gleich hinter ihrem bissigen Humor.
»Und das jetzt, wo ich ein Haus habe, in dem reichlich Platz für uns beide wäre.«
»Ja, und noch dazu ein so schönes Haus, das stimmt schon. Weißt du, worüber ich mir Gedanken gemacht habe, Pauline? Hast du dir schon mal überlegt, dir einen Hund
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