Das weiße Grab
Salon, gebärdete sich wie ein Wilder und flehte sie auf Knien und unter Tränen an, das nicht zu tun. Der Friseur hat uns natürlich gleich gerufen, und ich bin ausgerückt.«
»Dann haben Sie ihn überwältigt?«
»Überwältigt wäre zu viel gesagt. Er war eher wie ein Kind, das außer Kontrolle geraten war, aber ich holte ihn da weg und nahm ihn mit auf die Wache. Er reagierte vollkommen hysterisch, heulte und warf Rikke die unmöglichsten Dinge vor. Er war nicht ganz klar im Kopf, weshalb wir ihn die Nacht über in der Zelle behielten und ihm am nächsten Tag das Verbot auferlegten, sich Rikke oder dem Salon jemals wieder zu nähern. Mehr konnten wir aber nicht tun, wir mussten ihn gehen lassen.«
»Wurde er wegen des Überfalls am Strand verhört?«
»Nicht, dass ich wüsste.«
»Und sein ganzer Frust basierte nur darauf, dass Rikke Barbara Hvidt sich die Haare abschneiden hatte lassen?«
»Ja, sie hatte wirklich schöne Haare, aber es ging ihn ja nichts an, was sie damit machte.«
»Hatten Sie den Eindruck, dass sie sich wirklich die Haare hatte schneiden lassen wollen?«
Hans Svendsen zog die Augenbrauen zusammen und schüttelte gutmütig den Kopf.
»Was ist das denn für eine Frage? Wenn man zum Friseur geht, will man sich doch wohl die Haare schneiden lassen.«
»Ja, natürlich. Ich meine, hat sie sich die Haare schneiden lassen, weil er sie überfallen hatte? Gab es da eine Verbindung?«
»Davon ist mir nichts bekannt, aber diese Frage können Sie ihr ja selbst stellen.«
»Das werde ich. Was geschah danach, nachdem Sie ihn entlassen hatten?«
»Eben, das war ja das Merkwürdige, er hat noch am gleichen Tag den Gasthof verlassen und ist zurück nach Hause gefahren – wohin, weiß ich nicht.«
»Dann hatte er kein Interesse mehr an dem Mädchen, weil sie kurze Haare hatte?«
»Es deutete einiges darauf hin, ja.«
Arne Pedersen fasste zusammen: »Rikke Barbara Hvidt hat dann sehr viel später, also erst 1997 , darauf hingewiesen, dass es ihrer Meinung nach Übereinstimmungen gab zwischen dem Überfall am Strand bei Kikkehavn und dem Mord an Catherine Thomsen in Stevns?«
»Genau, sieht man davon ab, dass der Ort Kikhavn heißt. Ja, der Stevns-Fall führte ja wie heute zu dicken Schlagzeilen, und das, was sie über Catherine Thomsens Schicksal las, erinnerte sie erschreckend an das, was sie selbst durchlebt hatte. Ich habe Planck kontaktiert, aber ein paar Tage später wurde dann der Vater verhaftet und angeklagt, und danach habe ich nie wieder etwas gehört. Aber irgendjemand muss sich trotzdem eine Notiz gemacht haben, denn sonst hätten Sie sich heute wohl kaum an mich gewendet.«
Arne Pedersen war überrascht.
»Ich dachte, Sie hätten Kontakt zu Konrad aufgenommen?«
»Nein, das war einer Ihrer Studenten – ich wusste gar nicht, dass Sie für solche Leute Verwendung haben –, er hatte einen Querverweis gefunden. Sagen Sie mal, reden Sie in Kopenhagen noch miteinander, oder ist das in der Großstadt jetzt ganz aus der Mode gekommen?«
Da ist was dran, dachte Arne Pedersen.
»In der Regel tun wir das, aber in diesem Fall muss ich etwas missverstanden haben. Haben Sie sich denn nicht darüber gewundert, dass die Frau nie befragt worden ist?«
»Nein, alle hielten den Vater des Mädchens für den Täter, auf der Plastiktüte waren schließlich seine Fingerabdrücke. Das Ganze erschien mir ziemlich klar zu sein. Wie erklären Sie sich heute eigentlich diese Fingerabdrücke?«
»Wir nehmen an, dass der Täter Catherines Vater verleitet hat, bei einem Umzug etwas in dieser Plastiktüte zu transportieren. Vielleicht eine große Vase oder eine Büste, aber das sind alles nur Spekulationen. Sagen Sie, könnten Sie sich ein paar Bilder anschauen und mir sagen, ob die Personen darauf Rikke Barbara Hvidt im Jahr 1977 ähnlich sehen?«
»Gerne. Aber vielleicht hat sie ja selbst ein Bild aus dieser Zeit, so dass Sie die Fotos direkt vergleichen können? Das wäre sicher besser, schließlich ist seit damals reichlich Zeit vergangen.«
»Ich hätte fürs Erste gerne Ihre Meinung, wenn …«
Er wurde von einem hohl klingenden, lauten Tuten unterbrochen, das zweimal über den Hafen schallte. Alle hielten mit ihren Tätigkeiten inne und sahen gespannt zum Hafenbecken, wo sich die Fähre aus Rørvig einem kleinen Segelboot bedrohlich näherte. Hans Svendsen stand auf.
»Jetzt gucken Sie sich diese Idioten an, was denken die sich denn? So eine Fähre kann doch nicht auf der Stelle drehen! Jetzt
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