Das weiße Grab
Felde‹ nennt?«
»Nein.«
»Wir sind von einer Pastorin angesprochen worden. Catherine Thomsen hatte sie im Vertrauen aufgesucht, hin- und hergerissen zwischen ihrer Religion und ihrer Sexualität. Das ist das Spezialgebiet dieser Glaubensgruppe. Ich erinnere mich daran, dass wir das Fotomaterial von Catherines Beerdigung durchgegangen sind und speziell auf jüngere Frauen geachtet haben. Dabei ist uns tatsächlich eine Frau aufgefallen, ermitteln konnten wir die aber nie. Wir haben einen Bericht gemacht …«
»Es gibt aber keinen Bericht.«
Pauline Berg hatte ihren Chef unterbrochen. Das war nicht an der Tagesordnung.
»Jetzt halt den Mund, Pauline, und hör zu. Wir haben einen Bericht gemacht, aber nach Carl Henning Thomsens Tod und dem Abschluss des Falls hat mein Vorgänger den wohl ins Petersen-Archiv gegeben, da die Pastorin ja ihre Schweigepflicht gebrochen hatte, worunter sie sehr litt, wenngleich Catherine Thomsen tot war.«
»Ins Petersen-Archiv?«
Er sah auffordernd zur Comtesse hinüber, die langsam den Kopf schüttelte. Auch sie hatte keine Zeit.
»Davon erzähle ich dir, wenn du mich in einer Viertelstunde anrufst. Ich muss jetzt wirklich los. Es ist aber gut, wenn du diese Spur weiterverfolgst.«
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16
D er Mann musste etwa im Rentenalter sein. Die Comtesse betrachtete ihn mit unverhohlenem Interesse. Er war dick und hatte warme Augen, seine Gestik war langsam. Der wildwachsende Backenbart und der dazugehörende Schnauzer passten exakt zu dem altmodischen, koksgrauen Anzug, und sollte man ihn mit einem Adjektiv beschreiben, dann würde man ihn als besonnen bezeichnen.
Vor gut zehn Jahren war er Abteilungsleiter im Finanzministerium gewesen. Zu diesem Zeitpunkt blickte er auf eine blendende Karriere zurück und hatte die besten Zukunftsaussichten. Bis er eines Tages unter dem Arbeitsdruck zusammenbrach. Die Umstände waren für ihn im höchsten Maße unangenehm, aber auch seine Mitarbeiter fühlten sich unbehaglich angesichts seines Schicksals, denn wenn so etwas ihn treffen konnte, waren sie ebenfalls nicht vor solchen Rückschlägen gefeit. Nach seiner Genesung war schnell klar, dass an eine Rückkehr ins Ministerium nicht zu denken war, weshalb man einen Arbeitsplatz in der Nationalbank für ihn fand – wenn nicht sogar erfand. Er saß nun in der Münzabteilung, die offiziell den Namen »Die Königliche Münze« trug und in Brøndby beheimatet war. Sein Arbeitsplatz lag im Marskalgården in der Købmagergade, einem Barockpalais aus dem 18 . Jahrhundert, oben unter dem Dach, so dass man, wollte man zu ihm, einen Blick auf das unter ihm liegende Post- und Telekommunikationsmuseum werfen konnte. Seine münztechnischen Verpflichtungen waren, gelinde gesagt, überschaubar, so dass er die meiste Zeit tat, wozu er Lust hatte, und dabei von größerem Nutzen war, als man glauben würde, denn seine interne Kenntnis all der Irrwege in Verwaltung und Regierung war beträchtlich, und seine guten Ratschläge, mit denen er jedem zur Seite stand, der den Weg zu ihm fand, waren entsprechend fundiert. In der Bürokratensprache nannte man ihn schon das Orakel von der Købmagergade, und er war im Laufe der Zeit von vielen Menschen konsultiert worden. Sie stammten aus allen Gesellschaftsschichten, und ob studentische Aushilfskraft oder Abteilungsleiter, sie kamen alle zu ihm. Ja, mitunter waren sogar Minister bei ihm gesichtet worden.
Gerade als die Comtesse sich vorstellen wollte, wurde sie von ihrem Handy unterbrochen, das sie auszuschalten vergessen hatte. Sie beendete das Gespräch rasch und drückte ihr Bedauern aus: »Sie müssen entschuldigen, das war mein Chef.«
»Ihr Chef, Ihr Vorgesetzter, Ihr Lebensgefährte, ein geliebtes Kind hat viele Namen.«
Er sprach langsam, und seine Stimme war so rauh wie der Bass eines Seemannes und geprägt von einer seltsamen Betonung, als wären die Worte und Sätze nicht aufeinander abgestimmt. Die Comtesse verbarg ihre Überraschung hinter einem kurzen Lachen und begnügte sich mit den Worten: »Sie sind wie immer sehr gut informiert. Also, wo war ich?«
»Helmer Hammer hat Ihren Vorgesetzten besucht, und das gerade einmal eine halbe Stunde nachdem Bertil Hampel-Koch, seines Zeichens Abteilungsleiter für auswärtige Angelegenheiten, wutschnaubend das Präsidium verlassen hatte.«
Die Comtesse erzählte weiter, dass Konrad Simonsen Hampel-Koch nun in täglichen Mails über die Ergebnisse der Ermittlungen informierte. Als sie fertig war, machte sie eine
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