Das weiße Grab
wird.«
Sie hatte leise gesprochen, fast gemurmelt. Arne Pedersen fragte: »Was hast du gesagt? Das Letzte habe ich nicht mitbekommen.«
»Egal, ich versuche bloß, diese Tussi aus dem Kopf zu bekommen.«
Konrad Simonsen brummte irritiert: »Es ist absolut inakzeptabel, dass sie sich das Recht herausnimmt, eine Mordermittlung derart zu behindern. Sie muss doch auch Vorgesetzte haben. Soll ich morgen früh mal mit einem von denen reden?«
»Nein, danke. Das kriege ich schon selbst hin, ich werde sie selbst zurechtweisen. So neu bin ich in diesem Job ja nicht. Das Problem ist nur, dass die Sache, in der ich da wühle, etwas delikat ist. Ich will nicht mehr Aufsehen erregen als unbedingt nötig.«
»Ja, das habe ich auch schon bemerkt.«
Die Ironie war deutlich, wie Arne Pedersen verwundert feststellte. Er selbst hatte keine Ahnung, was die Comtesse da trieb, aber dass Konrad offensichtlich auch nicht vollständig im Bilde war, wirkte beinahe bizarr. Die Comtesse erriet seine Gedanken und beeilte sich zu fragen: »Wie waren eure Schachpartien?«
»Partien? Wir haben nur eine geschafft, und Konrad hat natürlich gewonnen. Ich war leider nicht so gut, wie ich geglaubt hatte.«
Konrad Simonsen nickte zufrieden. Die Comtesse ließ sich aber nicht überzeugen. Sie rutschte von der Armlehne, stellte sich hinter Arne Pedersen und legte ihm zur Verblüffung beider Männer die Hand auf die Schulter. Ihre Beziehung war in der Vergangenheit nicht immer problemlos gewesen, so dass diese Geste der Nähe vollkommen überraschend kam.
»Das glaube ich keine Sekunde. Im Gegenteil, ich denke, du bist ein richtig guter Spieler, sonst hätte eure Partie niemals drei Stunden gedauert, aber jetzt solltest du nach Hause fahren, damit Konrad seinen Schlaf bekommt. Du siehst im Übrigen auch so aus, als müsstest du ein paar Stunden die Augen zumachen.«
Die zwei Männer verabschiedeten sich im Flur. Konrad Simonsen öffnete die Haustür. Arne Pedersen zementierte noch einmal ihre nächste Verabredung: »Aber wir spielen noch mal?«
»Klar, tun wir.«
»Spiele ich wirklich so schlecht?«
»Ja, und du solltest nicht auf sie hören, sie hat keine Ahnung von Schach.«
Das klang allerdings eine Viertelstunde später vollkommen anders, als die Comtesse ihm einen Gutenachtkuss gab und ihn über die Treppe nach oben führte und ins Bett verfrachtete.
»Wenn ich sein Talent hätte, hätte ich es vielleicht bis zum internationalen Meister schaffen können.«
»Wenn das kleine Wörtchen wenn nicht wäre. Gute Nacht, Konrad.«
»Es ist nur eine Frage der Zeit, bis er mich schlägt.«
»Es ist nur eine Frage der Zeit, bis du einschläfst.«
»Und was machst du jetzt?«
»Arbeiten.«
»An was?«
»Gute Nacht, und schlaf gut, Konrad.«
[home]
19
E r ist klein und liegt im Bett. Es ist Nacht. Das Zimmer wird von einer schwachen Lampe erhellt. Man steckt sie direkt in die Steckdose, und sie sendet ein gedämpftes, grünliches Licht aus, das auf Kinder beruhigend wirkt. Er hat Angst vor dieser Lampe, doch noch mehr Angst hat er vor dem Dunkel.
Von dem einen Fenster des Zimmers sieht man den Wald. Es ist in sechs kleine Scheiben unterteilt, und von den Sprossen blättert die weiße Farbe. Das Fenster ist sorgsam verschlossen und die Gardine vorgezogen. Wenn die Stockrosen zu hoch werden, schlägt sein Vater Nägel in das Fensterblech und bindet sie an, damit sie nicht gegen die Scheibe schlagen, wenn es windet. Er hat Angst vor diesem Fenster, doch noch mehr Angst hat er vor dem Unbekannten davor.
Wenn die Müdigkeit die Angst überwindet, schläft er ein, wacht aber vom geringsten Laut auf, der von dem Fenster hinter der Gardine kommt. Ein leises, metallisches
Klicken.
Das ist die Hexe, die das Fenster langsam öffnet. Hexen können so etwas. Sie öffnen Fenster von außen.
Erst wird ihre grünlich finstere Silhouette vergrößert an die Wand geworfen, dann sieht er ihren kleinen Körper beschwerlich in das Zimmer kriechen. Ihre Gliedmaßen sind dünn wie Spinnenbeine, die Finger krumm, die Nägel spitz. Mit einer raschen Bewegung zieht sie die Gardine weg und starrt ihn mit kleinen, blinzelnden Augen an. Ihre dreckigen Haare stehen in alle Richtungen ab und ragen unter dem Hexenkopftuch hervor, aber das Schlimmste ist ihr Mund. Denn dort, wo er sein sollte, ist kein Mund.
Er rennt.
Stürmt, so schnell er kann, über den Flur davon. Am Ende steht seine Mutter mit ausgebreiteten Armen, doch je schneller er rennt, desto weiter ist
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