Das weiße Grab
unbekannter Freundin gebeten. Nach einigem telefonischen Hin und Her war sie schließlich bei einer Frau gelandet, die ihre Bitte weder abwies noch darauf einging, ihr aber zuhörte. Sie hatten sich daraufhin am Caritas-Springbrunnen, Christians IV. hübschem Renaissancebrunnen aus dem frühen 17 . Jahrhundert, verabredet.
Pauline Berg war überrascht, als sie die Frau mit den kräftig rot gefärbten Haaren sah. Sie war groß und schlank, hatte einen selbstbewussten Blick und war Ende vierzig und damit viel älter, als sie am Telefon geklungen hatte. Außerdem hatte Pauline das unbestimmte Gefühl, sie schon einmal gesehen zu haben, ohne sicher sagen zu können, bei welcher Gelegenheit. Ihr Gefühl sagte ihr aber, dass sie die Frau nicht gemocht hatte.
Pauline stellte sich vor, aber die Frau wollte ihren Polizeiausweis nicht sehen und beschränkte die einleitenden Höflichkeiten auf ein absolutes Minimum. Sie sagte nur kurz: »Kommen Sie«, und ging über den Platz zu einer Bank, wo sie sich hinsetzten. Auch in dem nachfolgenden Gespräch übernahm sie die Führung.
»Was wissen Sie über den Landesverband?«
Die Frage verwunderte Pauline Berg. Es spielte doch keine Rolle, was sie über den Verband dieser Frau wusste. Außerdem hatte sie die Frage mit provozierender Autorität gestellt, fast wie in einer Prüfung. Pauline erwog einen Moment lang, ihr keine Antwort zu geben, sagte dann aber: »Nicht viel. Er wurde 1948 weltweit als einer der ersten Verbände dieser Art gegründet. Sie beraten ihre Mitglieder und übernehmen Lobbyarbeit für sexuelle Gleichberechtigung. Mehr weiß ich eigentlich nicht.«
Die Frau war mit der Antwort offensichtlich zufrieden. Auf jeden Fall wechselte sie das Thema: »Zeigen Sie mir das Bild, und wiederholen Sie noch einmal, was Sie gestern gesagt haben.«
Während Pauline redete, wurde ihr plötzlich bewusst, wo sie diese Frau schon einmal gesehen hatte. In einem Gerichtssaal, die Frau war Richterin. Vor einigen Jahren hatte sie die Argumente der Staatsanwaltschaft zerpflückt und einen Verdächtigen gehen lassen, den Pauline und ihr damaliger Kollege nur mit Mühe hatten dingfest machen können. Heute saß diese Frau bestimmt in irgendeinem Oberlandesgericht.
Sie studierte eingehend das Bild von Catherine Thomsens mutmaßlicher Freundin, die Malte Brorup etwas altern hatte lassen, bevor sie sagte: »Und die soll lesbisch sein?«
»Das ist wahrscheinlich.«
»Wohnt sie in Kopenhagen?«
»Auch das weiß ich nicht. Nur dass sie vor zehn Jahren hier gewohnt hat.«
»Haben Sie auch ein digitales Bild?«
Pauline reichte ihr einen USB -Stick und ihre Karte.
»Wir suchen sie im Netz. Über Facebook, unsere Mailingliste und über unsere Homepage. Das ist sicher die effektivste Methode. Ich rufe Sie an, wenn ich etwas habe.«
»Was denken Sie, wie hoch sind die Chancen?«
»Woher soll ich das denn wissen? Sind wir dann fertig?«
Auf dem Weg über die Fußgängerzone zum Rathausplatz hatte Pauline Berg ein gutes Gefühl. Der Fall Falkenborg war ihr Fall, das spürte sie deutlich.
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28
A ls sich die Comtesse und Konrad Simonsen am Montagmorgen auf dem Platz vor dem Präsidium trennten, stand noch viel Unausgesprochenes zwischen ihnen. Die Comtesse setzte ihren Chef ab, bevor sie selbst weiter zu einem Termin fuhr. Im Auto hatte sie ihn zum ersten Mal detailliert über ihre Parallelermittlung mit Blick auf Bertil Hampel-Koch informiert, auf die sie in der vergangenen Woche viel Zeit verwendet hatte und die auch an diesem Morgen der Grund dafür war, dass sie sich nicht an der eigentlichen Ermittlung beteiligen konnte. Das seltsame Telefonat mit Konrad Simonsens hellseherischer Freundin behielt sie aber noch für sich. Obgleich dieses Gespräch der eigentliche Ansporn war – das hatte sie längst erkannt –, konnte sie mit diesen metaphysischen Warnungen ihren Einsatz nicht begründen. Alles andere hatte sie ihm erzählt. Nur das Wichtigste eben nicht.
Konrad Simonsen war nicht begeistert. Er wusste nicht, was sie mit ihren Anstrengungen bezweckte. Seiner Meinung nach war sie einer der klassischen Verlockungen in der kriminalpolizeilichen Arbeit erlegen, nämlich einer abwegigen Spur zu folgen und damit eine Geschichte aufzudecken, die sicher spannend war, mit dem aktuellen Verbrechen aber nichts zu tun hatte. Er hatte so etwas unzählige Male erlebt, und es war seine Aufgabe als Chef, die Aktivitäten seiner Mitarbeiter in eine etwas produktivere Richtung zu lenken: ja,
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