Das weiße Grab
nachdem er ihre Erklärung gehört hatte, musste er sogar sagen, in eine deutlich produktivere Richtung. Trotzdem tat er nicht, was eigentlich seine Aufgabe gewesen wäre, was wiederum – und da konnte er ruhig ehrlich zu sich selbst sein – damit zu tun hatte, dass er dort wohnte, wo er derzeit wohnte.
Er hatte die Autotür geöffnet, um auszusteigen, bereute es aber und drehte sich noch einmal zu ihr um. Sie kam ihm zuvor: »Ich weiß genau, was du sagen willst, Konrad, und du hast recht. Was ich mache, liegt wirklich am Rande dessen, womit wir uns sonst beschäftigen. Aber ich habe eine ziemlich sichere Intuition.«
»Und eine unstillbare Neugier, was diese staatlichen Verstrickungen betrifft, die uns nichts angehen. Deshalb hast du vermutlich auch das ganze Wochenende am Computer gesessen, dich über Grönland informiert und mit Gott und der Welt telefoniert?«
»Das ganze Wochenende ist reichlich übertrieben, wenn ich mich richtig erinnere, waren wir sowohl im Louisiana als auch im Theater.«
»Stimmt, ja, aber wenn wir wieder zu Hause sind, müssen wir eine Möglichkeit finden, wie wir diesen Abstecher beenden können.«
»Du hast mir eine Woche Zeit gegeben.«
Er ignorierte das Versprechen, das er ihr gegeben hatte, ebenso wie ihren bittenden Unterton: »Eine Möglichkeit, die auch Bestand hat.«
»Okay, das verspreche ich dir, mein lieber Chef.«
Ihre Andeutung machte sein Dilemma nur noch größer, und er kannte sie gut genug, um zu wissen, dass ihre Ausdrucksweise zu diesem Zeitpunkt kein Zufall war. Deshalb ließ er sie in Ruhe und ging zur Arbeit, allerdings nicht ohne die spitze Bemerkung, dass irgendjemand das ja tun müsse.
Die Comtesse hatte das Orakel von der Købmagergade zum Frühstück eingeladen. Der Mann hatte eingewilligt, dabei gleich aber seinen Wunsch nach einem diskreten Lokal zum Ausdruck gebracht. Ein Anliegen, das die Comtesse nicht erfüllt hatte. Man konnte viel über das SAS -Hotel sagen, über Arne Jacobsens funktionalistischen Mastodon im Herzen von Kopenhagen, aber diskret war es sicher nicht. Im Gegenzug hatte sie aber einen kleinen Sitzungsraum rechter Hand des Foyers angemietet, in dem ein überreich gedeckter Frühstückstisch auf sie wartete. Der Mann nahm sich bereits von den Leckereien, als sie hereinkam. Sie begrüßten sich, und die Comtesse nahm sich eine Tasse Tee. Sie war nervös, was sie verwunderte.
»Mehr wollen Sie nicht?«, fragte er verblüfft.
»Nein, leider, dabei sieht alles wirklich sehr lecker aus.«
»Es ist lecker. Aber fangen Sie schon an, ich kann, auch während ich esse, zuhören.«
Sie zeigte ihm die Fotografie von Bertil Hampel-Koch in Grönland. Im Vordergrund zündete sich ein junger Mann mit kurzgeschnittenen Haaren eine Pfeife an, während eine hübsche Frau mit schwarzem lockigem Haar hinter ihm stand und in die Kamera lächelte.
»Bertil Hampel-Koch, alias Geologe Steen Hansen, und Maryann Nygaard – die Frau, die später ermordet wurde –, fotografiert auf der Basis Søndre Strømfjord am Samstag, den 9 . Juli 1983 . Die Echtheit des Bildes ist, wenn ich das gleich sagen darf, von einer früheren Freundin Nygaards bestätigt worden.«
Der Mann kaute weiter und sagte mit rauher Stimme: »Natürlich. Bertil Hampel-Koch war im Juli 1983 in Grönland.«
Er stellte keine Frage, aber der Unterton in seiner Stimme schien förmlich
na und
zu sagen, so dass sie zu dem einzigen, dünnen Strohhalm griff, den sie noch hatte, um ihn auf ihre Seite zu ziehen.
»Die zwei Journalisten, in deren Kielwasser ich gesegelt bin, als ich mir diese Fotografie beschafft habe, sind politische Journalisten, keine Kriminalreporter.«
»Ich hoffe nur, das ist keine versteckte Drohung. Sie wollen Ihr Wissen doch wohl nicht mit der Presse teilen?«
»Nein, aber wenn diese beiden auch herauszufinden versuchen, was Bertil Hampel-Koch in Grönland gemacht hat …«
Er unterbrach sie: »Was dann?«
Obwohl sie lieber noch damit gewartet hätte, ihm von ihren eigenen Ermittlungen zu erzählen, legte sie ihre Karten auf den Tisch.
»Ja, ich war neugierig, und ich glaube wirklich, dass ich bis zur Wahrheit vorgedrungen bin. Aber im Vergleich zu den Journalisten hatte ich ja auch einen gehörigen Vorsprung.«
»Sie meinen das Bild?«
»Nein. Ich meine das, was ich über Helmer Hammers Engagement weiß, und das, was Sie mir bei unserer letzten Begegnung gesagt haben.«
Er goss sich langsam und wohlüberlegt ein Glas Apfelsaft ein und sagte dann: »Sie
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