Das weisse Kaenguruh
überhasteten Schnellschusses war angesichts der unendlichen Möglichkeiten, die auf der Kirmes geboten wurden, extrem groß. Billy nahm daher den Zwanziger an sich, sagte ebenfalls kurz und brav »Danke«, schlich sich davon und ward nicht mehr gesehen. Denn statt auf seinen Vater zu hören und in der Nähe des besagten Bierstandes zu bleiben, tauchte er in der Menschenmenge unter, ließ sich erst einmal von ihr mitreißen und widerstandslos über den Rummel treiben.
Billy war ein überwiegend angstfreies Kind; sein Handeln sprichwörtlich und im Grunde durchgehend blauäugig. Er konnte es sich aber auch leisten. Er war schlau, und dummerweise sind es meistens die Doofen, die im Leben aufpassen müssen. »Den Weg zurück werde ich schon finden«, dachte sich Billy also und machte sich keine Sorgen. Er mußte nur immer schön aufpassen beim Gehen, sich ab und zu umschauen und am besten im Kreis laufen. Dann würde er automatisch wieder dort landen, wo sein Alter sich gerade wegschüttete.Ganz einfach war das und für ihn kein Problem. So trabte er los. Mit riesigen Augen und strahlendem Blick. Zügig, um keine wertvolle Zeit zu verlieren, konzentriert, um nichts Entscheidendes zu übersehen, und mit seinem Polohemd nicht in, sondern aus der Hose. Weil er das lieber mochte. Und weil ihn im Moment ja auch keiner sah, der ihm das hätte verbieten können.
Es war wahrlich ein Potpourri der Sensationen, das Billy da für seine 20 Mark geboten bekam. Zum Aufwärmen fuhr er einmal mit dem Kettenkarussell, gönnte sich danach und zur Stärkung einen Reibekuchen mit Apfelmus, dazu einen kandierten Apfel und als Nachtisch rosa Zuckerwatte, fuhr Autoscooter wie sein Bruder (aber nur drei Runden), gab sich mit einer Fahrt im Riesenrad den ultimativen Kick (er hatte eine ganze Gondel für sich allein!), kam in der Geisterbahn wieder runter und beendete seinen Trip schließlich mit einem Besuch im Flohzirkus, den er im Nachhinein allerdings eher enttäuschend fand. Da wäre er lieber mit der großen Achterbahn gefahren. Aber da hatte ja der junge Mann zum Mitreisen was dagegen gehabt.
»Allein ist nicht«, hatte er zu Billy gesagt. »Da mußt du schon einen Erwachsenen mitbringen. Deinen Vater, zum Bleistift.«
»Dann lieber nicht«, hatte Billy geantwortet und war ernüchtert abgezogen.
Nach einer guten Stunde hatte er sein Vermögen dann durchgebracht. Fast jedenfalls, denn eine letzte, einzige Mark hatte er noch übrig. Und die mußte natürlich auch noch weg, bevor er wieder zu seinem mittlerweile schwer angetrunkenen Vater zurückkehren wollte. Jetzt stand er also mit einer Mark in der Hand in der Gegend herum, der Bierstand mit seinem Vater am Tresen war bereits in Sichtweite und die Auswahl nicht besonders. Schon damals kam man mit wenig nicht sehr weit. Billy dachte nach. Bis er sich endlich für dieeinzige Anlagemöglichkeit entschied, die ihm für seine letzte Mark würdig erschien. Er kaufte sich in einem Glückshafen seiner Wahl ein Los.
Das Los kostete genau eine Mark und die Verkäuferin sah aus wie hundertfünfzig. Der blondgefärbte Hase in Lederrock, mit kiloweise Goldgeschmeide um den Hals und draller Bluse am Leib, hielt Billy einen Plastikeimer unter die Nase und war im weiteren einfach nur nett zu ihm.
»Hier, mein Kleiner. Aber laß dir Zeit. Das Glück ist langsam«, sagte sie.
»Ich nehme mal den linken Arm«, sagte Billy. »Ausnahmsweise. Sonst bin ich nämlich Rechtshändler.«
»Das heißt Händer.«
Die Losverkäuferin lächelte Billy an, doch der hörte ihr schon nicht mehr zu. Er war viel zu beschäftigt. Er hatte mittlerweile seinen linken Arm in den Eimer gesteckt und fingerte jetzt darin herum. Aufgeregt und auf der Suche nach dem großen Glück.
Er schloß die Augen und versuchte, einen Unterschied zu spüren. Die Lose faßten sich alle gleich an. Irgendwann entschied er sich trotzdem und fischte endlich ein Los heraus. Ganz vorsichtig und mit einem leichten Zittern in den Fingern.
»Das ist es«, sagte er zu sich selbst, riß die zusammengetackerten Enden des blauen Röllchens ab und rollte es auf. Dann machte er seine Augen wieder auf, las und fing an zu schreien.
»Hauptgewinn« hieß das Wort, das auf dem Zettel stand. Einfach nur »Hauptgewinn«. Sonst nichts. Billy stand da und konnte es nicht fassen. Ein Wahnsinn war das und ein unglaublicher dazu! Ein schöner Gummiskelettschlüsselanhänger hätte ihm ja schon gereicht. Oder eine von den tollen Wasserpistolen aus
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