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Das weisse Kaenguruh

Das weisse Kaenguruh

Titel: Das weisse Kaenguruh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Praxenthaler
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blauen Kleid und der Plastiktüte in der Hand schien ein ausgeprägtes komödiantisches Talent zu haben. Und sie hatte anscheinend sogar ein Gefühl für die Dramaturgie. Die Geräusche wurden nämlich mit jeder Sekunde lauter und ekstatischer, und Billy im folgenden immer nervöser. Aber auch neugieriger. So neugierig und so nervös, daß er es irgendwann nicht mehr aushielt. Er mußte wissen, was da gerade hinter der Tür passierte. Unbedingt. Er mußte hinein.
    Die Frau kam ihm zuvor. Genau in dem Moment, als Billy die Klinke der Tür zum Hörsaal nach unten drückte, kam sie hinaus. Ohne Vorwarnung und mit einem irrsinnigen Schwung. Billy ging auf der Stelle in die Knie. Er hatte die Tür mit voller Wucht gegen seinen Kopf bekommen und konnte sich danach beim besten Willen nicht mehr auf den Beinen halten. Wie eine Schießbudenfigur fiel er nach hinten um, schlug auf der Erde auf, rutschte noch ein bißchen über das Linoleum und knallte Sekundenbruchteile später mit dem Hinterkopf gegen einen Feuerlöscher, der an der Wand befestigt war. Dann bewegte er sich erst einmal nicht mehr.
    Die Frau hatte von alldem nichts mitbekommen.
    »Das hast du jetzt davon, du Scheißkerl«, schrie sie noch kurz in den Hörsaal und knallte danach die Tür mit aller Kraft wieder zu.
    Der Knall hallte durch den Gang und die Frau stand nunmit dem Rücken zu Billy. Sie bewegte sich nicht. Sie sagte auch nichts. Sie stand nur da. Mittlerweile ohne Plastiktüte in der Hand. Billy fand sie von hinten genauso schön wie von vorn. Dann griff er sich an die Stirn.
    »Scheiße«, sagte er leise, als er das Blut bemerkte.
    »Scheiße«, sagte die Frau, als sie Billy bemerkte. »Wieso blutest du denn plötzlich?«
    »Ich glaube, die Tür da war schuld.«
    »Du meinst doch nicht etwa? O nein! Manchmal bin ich so ungeschickt. Tschuldigung, aber das wollte ich nicht, ehrlich.«
    »Ehrlich?« wiederholte Billy. »Du weißt gar nicht, wie glücklich mich das macht.«
    »Wart mal«, sagte die Frau. »Ich glaube, ich habe ein Tempo dabei.«
    Sie kramte ein altes, aber immerhin unbenutztes Taschentuch hervor, kniete sich vor Billy hin und kümmerte sich um die Wunde.
    »Ich studiere nämlich Medizin, weißt du? Also keine Sorge. Bin schon im ersten Semester.«
    »Beruhigend«, sagte Billy. »Wie lautet denn Ihre Diagnose, Frau Professor?«
    »Wenn du mich so direkt fragst«, sagte sie und drückte das Taschentuch auf die Wunde. »Ich würde das nähen.«
    »So schlimm?« fragte Billy und tat erschreckt.
    »Eigentlich nicht«, antwortete die Frau. »Aber Narben an Männern sind wahnsinnig sexy.«
    Dann war es für einen unendlichen Augenblick seltsam still. Billy sah der Frau nur in die Augen, und sie sah zurück. Und sie lächelte schon wieder. Wunderschön. Und dann fing sie auch noch an zu lachen. Und Billy lachte mit. Er konnte nicht anders. Er lachte mit ihr. Sie lachten sich an. Billy blutete sein T-Shirt voll. Aber das machte ihm nichts. Für dieses Lachen hätte er ein Bein gegeben.
    Leider war es mit der Heiterkeit schneller vorbei, als es sich Billy gewünscht hatte. Die beiden wurden unterbrochen. Und wie! Im schönsten Moment flog die Tür auf und ein Mann stürmte aus dem Hörsaal in den Gang.
    »Annabelle«, schrie er und warf dabei die Tür hinter sich zu.
    Billy schaute entsetzt auf und erkannte ihn sofort. Es war Schliebusch. Und mit einem Mal hatte er auch einen leichten Anflug einer leisen Ahnung, was hier eigentlich los war.
    »Was willst du denn noch?« rotzte ihn Annabelle an und stand auf.
    Sie heißt also Annabelle, dachte sich Billy und blieb erst mal sitzen.
    »Sag mal, spinnst du jetzt total?« brüllte der schöne Schliebusch, ging auf Annabelle los und packte sie an den Armen. »Was fällt dir überhaupt ein. Machst mir eine solche Szene. Vor allen Leuten.«
    »Laß mich los«, schrie Annabelle zurück. »Du tust mir weh.«
    Billy blieb immer noch sitzen. Er hatte das Gefühl, daß sein Auftritt noch nicht gekommen war. Aber ebenso spürte er, daß es wahrscheinlich bald so weit sein würde.
    »Das ist mir scheißegal«, brüllte Schliebusch weiter. »Überleg dir lieber mal, was du gerade angerichtet hast. Du hast mich ruiniert, verstehst du? Ich kann einpacken, du blöde Schlampe.«
    »Ja und? Das hast du dir ja wohl selbst eingebrockt, du perverse Drecksau.«
    »Jetzt reicht es mir aber!« schrie Schliebusch mit der Kraft der Verzweiflung.
    Und dann machte er einen großen Fehler. Er holte zum entscheidenden Schlag aus.

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