Das weisse Kaenguruh
verlieren.
Der Biß des Proletariats.
Begonnen hatte alles in der 5. Klasse mit einer Tüte Semmeln und einer Packung Negerküsse. Die hießen damals noch so, und der Euro hieß damals noch Mark und er hatte ein großesProblem. Er hatte kein Geld. Denn obwohl seine Eltern beide auf Arbeit gingen und sich fünf Tage in der Woche einen Buckel malochten, wollte sich in seiner Familie kategorisch nicht einmal der leiseste Wohlstand einstellen. So etwas wie das sozialmarktwirtschaftliche Speckpolster, von dem immer geredet wurde, blieb da lediglich eine hohle Vision. Ständiger Verzicht hin oder her. Und da konnte man auch nichts dagegen machen. Sein Vater schuftete auf dem Bau, seine Mutter saß halbtags bei Tengelmann an der Kasse und trotzdem blieb man – nicht nur finanziell gesehen – stets auf dem Boden der proletarischen Tatsachen. Und wen hätte es wundern sollen? München war schließlich noch nie ein Eldorado der Arbeiterklasse gewesen. Dafür ist die Stadt an der Isar einfach zu teuer. Mit sechs Kindern am Hals erst recht. Daran konnte selbst die geförderte Erdgeschoßwohnung in Giesing nichts ändern. Und auch keinerlei Luxus konnte da nichts machen. Da kam selbst die bayerische doppelte Verneinung an die Grenzen ihres Humors.
Die Lust auf ein besseres, geldigeres Leben reifte im Euro daher schon sehr früh heran. Es war der Tag, an dem er auf dem Bolzplatz hinter dem Haus mit seinen Freunden zum ersten Mal das Thema »Taschengeld« diskutierte, und dabei erkennen mußte, daß es selbst innerhalb des Proletariats erhebliche soziale Unterschiede gibt. Und diese Erkenntnis prägte ihn nachhaltig. Die eiserne Knappheit, die in seinem Elternhaus von Beginn an lautstark ausgesprochen wurde und ununterbrochen herrschte, diese eiserne Knappheit war ganz einfach nicht sein Ding und wurde somit zu seiner treibenden Kraft. Er wollte schlicht mehr als das, was er geboten bekam. Und eigentlich wollte er sogar alles. Das Geld wurde zu seinem Götzen, und wenn er betete, dann nicht zum lieben Gott, sondern ausschließlich zu seiner roten Spardose von der Stadtsparkasse. Er wollte Asche machen, darum ging es ihm, und kein Gedanke beschäftigte ihn beim Heranwachsenmehr als die Vorstellung, wie es wäre, das wahnsinnige Leben als reichster Mann der Welt.
Und so wurde der Euro Geschäftsmann. Mit zehn. Denn wer nichts hat, hat Hunger. Und wer Hunger hat, kriegt Biß. Nach nicht mal einer Klasse nach der Grundschule hatte er es geschnallt. Von ganz alleine und dank einer kleinen, aber geschäftlich gesehen entscheidenden Beobachtung: Er hatte im Vergleich zu seinen Mitschülern immer das geilere Pausenbrot! Seine Mutter drückte ihm nämlich jeden Morgen ein bißchen Kleingeld in die Hand, bevor er sich in den Klamotten der älteren Brüder auf den Schulweg machte. Davon durfte er sich sein Frühstück dann freundlicherweise selber kaufen. Er steckte das Geld ein, nachdem er es sorgfältig nachgezählt hatte, und kaufte sich davon immer dasselbe. Vom ersten Schultag an und jeden Morgen. Er kaufte sich eine Sternsemmel und einen Negerkuß. Beim Bäcker um die Ecke. Weil er das liebte.
Beides zusammen ließ er in eine Papiertüte einpacken, und wenn er mit seinen Kollegen auf dem Pausenhof stand und die Zeit für das zweite Frühstück gekommen war, machte er sich aus seiner Semmel und dem Negerkuß – zunehmend zeremoniell – eine Negerkußsemmel. Auf die süße Exklusivität dieser Kreation wollte er nicht mehr verzichten, denn mit einer Negerkußsemmel im Ranzen war ihm der Neid der Klassenkameraden sicher. Und für jemanden wie den Euro war dieser Neid ein plötzliches, bis dato unbekanntes Gefühl sozialer Überlegenheit. Und das genoß er sehr.
Einige wunderbare Wochen lang lebte er dieses herrliche Gefühl aus und machte sich damit viele Freunde. Seine Negerkußsemmel sprach sich nämlich rum wie der neueste Klatsch von den Löwen. Und so kam es, daß ständig irgendwelche Kinder mit ihm tauschen wollten. Am Anfang noch ihre eigenen Pausenbrote, aber nachdem der Euro darüber nur lachen konnte, kamen überraschend schnell auch Angebote,die ihn aufhorchen ließen. Fußball-Bildchen von Pannini zum Beispiel. Oder Spielzeugpanzer. Und eines Tages bot ihm ein ganz besonders verzweifelter Mitschüler schließlich sogar 50 Pfennig für seine Negerkußsemmel an. Sofort, in bar, und das, obwohl er selber nur 40 Pfennig dafür gezahlt hatte. Und das brachte ihn auf die Idee. Die Idee, wie man Geld verdienen konnte. Viel
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