Das weisse Kaenguruh
damit die Hoffnung auf bessere Zeiten, sang- und klanglos in den Untergang steuerte. Aber auch, wenn er sich maßlos über die vermeintliche Niederlage ärgerte, hatte er am Ende doch noch einen guten Grund zur Freude, und das waren die immerhin rund 22 Mark, die er bis zur Einstellung seiner Geschäftstätigkeit als Gewinn in seinem Sparschwein verbuchen konnte. Und 22 Mark, das war trotz allem mehr als allerhand. Er hatte damit in einem Monat viermal mehr verdient, als er im Monat Taschengeld bekam, und darauf konnte er zweifelsohne stolz sein. Und das war er auch, als er an seinem Schreibtisch vor all den Geldstücken saß und sie fein säuberlich zu einzelnen Türmchen aufhäufte. So sollte es bitteschön weitergehen, das nahm er sich vor, und das einzige, was ihm jetzt noch dazu fehlte, war die zündende Idee, mit der sich sein Reichtum weiter vergrößern ließ.
Hallo, ihr Flaschen.
Der Euro hatte Glück. Die nächste Geschäftsidee kam ihm schon einen guten Monat später. Er war durch einen Zufall darauf gestoßen. Die Idee hatte zwar bei weitem nicht den jungfräulichen Charme seines Negerkußhandels, erwies sich dafür aber um ein Vielfaches lukrativer. Wenngleich sie im Gegenzug auch ein gewisses Risiko in sich barg.
Neu war die Sache indes nicht. Vor dem Euro hatten sich damit schon ganze Heerscharen von Bedürftigen ihren Lebensunterhalt verdient, und möglich machte dies eine simple Lebensweisheit aus der Welt des Handwerks: Auf dem Bau sind alle blau! Und weil diese Weisheit immer und überall zutrifft und weil auf Baustellen tatsächlich ohne Alkohol kein Stein auf den anderen kommt, ließ sich hieraus relativ problemlos Kapital schlagen. Selbst als Kind schon. Man brauchte dafür nur zwei Dinge: Ausgang bis nach Dunkelheit und ein gewisses Maß an jugendlicher Chuzpe.
Der Euro hatte beides. Seinen Eltern war es nämlich im Grunde genommen egal, wann er nach Hause kam. Seine älteren Geschwister hatten die Erziehungsrichtlinien bereits weichgeklopft wie ein Wiener Schnitzel. So durfte er von früh auf auch zu später Stunde noch in der Gegend rumstromern. Diese Freiheit nahm er natürlich gerne und ausgiebig in Kauf. Die Stadt unsicher zu machen war allemal spannender, als mit seinen Alten vor der Glotze zu sitzen oder sich in seinem Zimmer mit sich selbst zu beschäftigen. Zumal er sich das Zimmer immer noch mit einer anderen Geschwisternase teilen mußte. Aus Kostengründen. Dieser Umstand allein machte ihn schnell zu einer Art Straßenkind, und angesichts der Abenteuer, die einem Kind seiner sozialen Herkunft eben nur das kostenlose Leben entlang der Rinnsteine bot, war er ein glückliches Straßenkind dazu. Und so kam es, als er eines Abends mal wieder seiner Wege ging, daß er an einer Baustelle vorbeikam, von seiner Neugier gepackt über den Zaun kletterte,sich in aller Ruhe umschaute und plötzlich drei leere Bierkisten entdeckte. Keine Minute später stand sein Entschluß fest. Er würde in das Pfandgeschäft einsteigen.
Für eine volle Kiste leerer Bierflaschen gab es sechs Mark und Baustellen gab es überall. Wenn man sich nicht völlig dilettantisch anstellte, konnte man an einem Abend ohne Hast drei oder vier Kisten klarmachen, die man dann in einem geeigneten Versteck zwischenlagerte, um sie am nächsten Tag nach der Schule auf dem Gepäckträger eines Fahrrads zu einem Getränkemarkt zu bringen, der einem dafür anstandslos das Pfand auszahlte. Ganz einfach. Und ganz schön einträglich, wie der Euro sich ausrechnete. Wenn er nur drei Abende in der Woche unterwegs war, so lautete diesmal seine Kalkulation, und dabei jeden Abend nur zwei Kisten klaute, dann waren das in der Woche 36 Mark, und damit fast doppelt soviel, wie er mit seinen Negerkußsemmeln
insgesamt
verdient hatte. Und das Abenteuer gab es noch gratis obendrauf. Das Leben war schon ein saugeiles Geschäft, fand er.
Dummerweise ging seine Kalkulation auch diesmal nicht so auf, wie er es sich gedacht hatte. Einerseits bemerkte er sehr schnell, daß er anscheinend nicht der einzige war, der sich diesem Geschäftsmodell verschrieben hatte –
»Was machst du denn hier, Kleiner? Das ist unser Revier. Also verpiß dich, ja. Aber ganz schnell. Sonst gibt’s was aufs Maul, kapiert?«
– und andererseits wurde ihm das Arbeiten auf eigene Faust relativ schnell viel zu langweilig. Daher rang er sich dazu durch, einen Partner mit ins Boot zu holen. Was die ganze Angelegenheit erheblich unterhaltsamer gestaltete, im Gegenzug aber
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