Das Weisse Kleid Des Todes
ließ?
»Was wollen Sie?«
»Wir sollten das nicht über die Sprechanlage bereden, Sir. Es geht um Ihre Tochter Katie.«
»Katie?« So verzerrt sie war, die Stimme klang überrascht. Es summte, und die Haustür ging einen Spalt breit auf. Russ stieg in den vierten Stock, ohne sich am Geländer festzuhalten. Seine Hand lag am Revolver. Gewohnheit. Keine schlechte.
Als er ankam, stand die Tür im vierten Stock weit offen. »Was ist mit Katie?« Darrell McWhorter war höchstens einssiebzig groß, aber stämmig: das Aussehen einer ehemaligen Sportskanone, die Fett angesetzt hatte. Sein dunkles Haar war oben ziemlich licht und in einem Stil gekämmt, den Linda als Schiebedachfrisur bezeichnet hätte. Er wirkte weder bedrohlich noch auffällig – ein Typ, wie man ihm hundert Mal im A&P begegnete, ohne je zu denken: Der da vögelt seine eigene Tochter. Zwischen seinen Fingern glomm eine Zigarette.
Russ versuchte, die Hitze hinter seinen Augen zu unterdrücken. Kristen hatte sich entschieden geweigert, eine Anzeige gegen ihren Vater zu unterschreiben, als sie seinen Namen und seine Adresse nannte. Solange Russ nichts in der Hand hatte, was diesen Schweinehund mit Katies Tod in Zusammenhang brachte, konnte er ihm nichts anhaben. Offiziell war er da, um Mr. und Mrs. McWhorter die schlimme Nachricht zu überbringen. Inoffiziell wollte er hier mal auf den Busch klopfen.
»Darf ich reinkommen?«, fragte er.
»Klar, klar, kommen Sie rein«, sagte McWhorter und trat beiseite. Drinnen stank es nach Zigarettenrauch, aber die Wohnung selbst schien gepflegt, erst recht im Vergleich zu den Drecklöchern, in denen andere Leute hausten. Die Möbel waren größtenteils alt, zu groß und zu düster für das Wohnzimmer, und schienen eher Familienerbstücke als Wohltätigkeitsspenden zu sein. In der Ecke stand eine Fernsehtruhe aus hellem, gelbbraunem Holz, Dänische Moderne in Reinkultur, Baujahr zirka ’65. Russ’ Mutter hatte auch so eine gehabt. Das Bild war noch erstaunlich gut, und er konnte jeden Zahn in dem überdimensionalen Lächeln der Gameshow-Moderatorin zählen, die um einen glänzend neuen Wagen herumwirbelte.
»Toll, ha?« McWhorter zeigte mit einem Daumen auf das Gerät. »Das mach ich, so was. Fernseher und Kleinelektronik. Meine Frau sagt, sie möchte einen von diesen Großbildschirmen, aber ich denk mir, solange ich den da astrein in Schuss halten kann …« Er nahm einen letzten Zug von seiner Zigarette und drückte sie in einem Standaschenbecher aus.
Russ drehte sich direkt zu ihm um. »Ist Ihre Frau da, Mr. McWhorter?«
»Ja, ja, im Schlafzimmer. Brenda!« Er brüllte durch den unbeleuchteten Flur zwischen Wohnzimmer und Galerieküche. »Komm mal her! Es ist ’n Polizist da, der will uns was über Katie sagen.«
»Über Katie?« Eine gewaltige Frau kam durch den Flur getapst. »Was ist denn mit meinem Mädchen?« Sie sah aus wie ihre Töchter, nur auf Superformat vergrößert; die gleichen rundlichen Wangen, das gleiche weiche Kinn, allerdings zu einer fleischigen Maske aufgedunsen, und die einst hübschen Augen sahen ihn misstrauisch an.
Bring das Schlimmste gleich hinter dich, dachte er. »Ich habe eine sehr traurige Nachricht, meine Herrschaften. Ihre Tochter, Katie McWhorter, wurde letzten Freitag tot hinterm Payson’s Park aufgefunden.« Darrell McWhorter starrte ihn ausdruckslos an. Brenda McWhorter stieß einen Schrei aus.
»Mein Kind! Mein kleines Mädchen!« Sie taumelte umher wie ein Elefant mit einem Betäubungspfeil, bevor er zu Boden kippt. Ihr Ehemann hielt sie fest und schob sie auf ein reich verziertes Sofa viktorianischen Stils. Man musste verdammt stark sein, um dieser Frau hochzuhelfen. Russ fragte sich, weshalb Darrell arbeitsunfähig war.
»Wie ist es passiert?«, fragte Darrell McWhorter.
Russ berichtete, was der Leichenbeschauer über Katies Tod herausgefunden hatte. Brenda McWhorter heulte und jammerte. Ihr Mann hörte wortlos zu. Er runzelte die Stirn.
»Noch eins«, sagte Russ abschließend. »Katie hatte ein bis zwei Wochen vor ihrem Tod ein Kind geboren. Das Baby befindet sich zurzeit in der Obhut des Jugendamtes.«
Brendas Geheul riss unvermittelt ab. Darrell sah aus, als versuchte er, die finale Antwort von Jeopardy binnen dreißig Sekunden zu finden. »Ein Baby?«, fragte er.
»Ein kleiner Junge. Hat einer von Ihnen etwas geahnt, dass sie schwanger war?«
Mit immer noch halb offenem Mund schüttelte Brenda den Kopf.
»Weiß einer von Ihnen, welche Beziehung Katie
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