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Das Weisse Kleid Des Todes

Das Weisse Kleid Des Todes

Titel: Das Weisse Kleid Des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Spencer-Fleming
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hergeholt, aber trotzdem … Russ wischte die Hand, die Darrell geschüttelt hatte, an seinem Parka ab, bevor er die Tür nach draußen öffnete. Entweder er müsste Kristen zu einer Anzeige gegen Darrell McWhorter überreden oder auf schnellstem Wege einen anderen Kandidaten als Vater finden. Wenn nicht, dann würde nämlich auch Cody eines dieser Kinder mit leerem, ausdruckslosem Gesicht werden, die zu Armut und Verwahrlosung verurteilt waren. Oder noch schlimmer.

10
    R uss’ Entschlossenheit, Cody zu helfen, zerschellte an dieser schroffen Klippe modernen Lebens: dem Anrufbeantworter. Er versuchte, Kristen in ihrer Wohnung zu erreichen. Ohrenbetäubender Lärm schlug ihm entgegen. Es klang wie Presslufthämmer, die ein Gitarrengeschäft zerstörten, gefolgt von einem halb geschrienen Befehl, den Namen und eine Nachricht zu hinterlassen. Auch in St. Alban’s lief der Anrufbeantworter, der bat, zwischen acht Uhr dreißig und fünfzehn Uhr noch einmal anzurufen. In Notfällen sei Reverend Clare Fergusson über das Pfarrhaus zu erreichen. Nur hatte Russ auch dort kein Glück. In ihrer Ansage klang Clare zu enthusiastisch, als dass sich die Entschuldigung für ihre Abwesenheit glaubhaft angehört hätte. Für Notfälle sei ihre Pager-Nummer … Russ wunderte sich allmählich über diese »Notfälle«. Was sollte das sein? Beichten auf dem Sterbebett? Nottaufen?
    Er überlegte, ihren Pager anzuwählen, entschied sich dann aber anders. Stattdessen hinterließ er eine Nachricht, in der er sein Treffen mit den McWhorters beschrieb und Clare um Rückruf bat. Er klopfte seine Brust ab und durchwühlte seine Taschen, bis er den Zettel mit Emily Colbaums Nummer fand. Dann ließ er eine Ansage auf dem Anrufbeantworter über sich ergehen, in der ein ganzer Schwarm kichernder Girlies ihm mitteilte, er sei in der »Weiberwirtschaft« gelandet. Er nannte Namen und Telefonnummer für einen Rückruf und probierte es anschließend bei der Sachbearbeiterin vom Jugendamt, blieb dort aber im Mailbox-System stecken. Er versuchte, die automatischen Anweisungen zu befolgen – drücken Sie die Zwei, drücken Sie zwei Mal die Rautetaste, wenn Sie die Durchwahl Ihres Gesprächspartners kennen –, und geriet an die Mailbox der Abteilung für Erziehungsprogramme. Wütend knallte er den Hörer auf und bedachte denjenigen, der als Erster eine Telefonvermittlerin durch einen Automaten ersetzt hatte, mit einigen Armeeflüchen.
    Als er dann in die Funkzentrale stampfte, hoffte er, Harlene werde fragen, was los sei, sodass er seiner Ansicht über Leute Luft machen könnte, die nie an ihrem verdammten Telefon waren, wenn man sie brauchte. Aber keine Harlene war zu sehen. Er folgte ihrer Stimme in den »Einsatzraum«, ein etwas großspuriger Name für ein halbes Dutzend eng zusammengerückter Schreibtische und einen Wasserkühler. Lyle MacAuley und Noble Entwhistle schauten am Ende ihrer Schicht noch mal vorbei, aber statt ihre Berichte auszufüllen, steckten sie über einer großen roten Camping-Kühlbox mit Harlene die Köpfe zusammen.
    »Hey, Chief!«, grüßte Noble.
    »Oh, da ist er ja, jetzt können Sie’s ihm geben«, sagte Harlene und stieß Lyle mit dem Ellbogen an. Der griff tief in die Kühlbox, um ein großes, in Fleischerpapier eingeschlagenes Päckchen hervorzuholen.
    »Für Sie, Chief«, verkündete er grinsend. »Steaks und die Keule. Ich hab den Haupttreffer gelandet, einen Tag vor Saisonschluss: ’n Zwölfender.«
    Ein Zwölfender-Geweih. Russ versuchte, sein stechendes Neidgefühl zu unterdrücken. Wenigstens gab Lyle großzügig etwas ab. Gottverdammt, eine ganze Rotwildsaison war im Handumdrehen vorbei, und er hatte zu viel zu tun gehabt, um auch nur ein Mal rauszugehen und – einen Tag vor Saisonschluss? Als Lyle zum Dienst eingetragen war? »Hattest du nicht zwei Tage vor Thanksgiving die Grippe?«, fragte Russ. »Das Vieh ist wohl in deinen Hof gekommen und hat ’n Herzschlag gekriegt?«
    Lyle lächelte noch breiter. »Schätze, so war’s, Chief.«
    Russ sah zu Harlene und Noble, die wie Vollidioten grinsten. Er richtete sich zu seiner ganzen Größe auf und klemmte sich sein Päckchen Wildbret unter den Arm. »Dann ist sein Fleisch bestimmt zart und schmackhaft, Lyle, wenn es so friedlich ums Leben kam, durch natürliche Ursachen.«
    Das Lachen der drei folgte ihm in sein Büro, wo er seinen Parka anzog und das Licht ausschaltete. An der Tür hielt er nachdenklich inne. Dann machte er kehrt und nahm die Akte Katie

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